Oktober - November 2015
Tbilisi
Geradelte Strecke: 46 km (Insgesamt 8047 km)
Viel Zeit ist vergangen, seit wir uns hier zum letzten Mal gemeldet haben und wir hoffen, dass Ihr uns inzwischen nicht vergessen habt. Der traurige Anlass, für die ungeplante Unterbrechung unserer Reise, hat uns einmal mehr bestätigt, dass es genau richtig ist, was wir tun. Wir erfüllen uns einen Traum - jetzt - denn nichts ist unendlich, auch unsere Zeit nicht und wir sind glücklich und dankbar, dass wir diese Möglichkeit haben.
Jetzt sind wir schon eine ganze Weile zurück in Georgien und haben unsere "Zelte" in Tbilisi aufgeschlagen. Bei dem jetzigen Wetter, denn auch in Georgien hat der Herbst begonnen, ziehen wir es allerdings vor, ein festes Dach über dem Kopf zu haben. So haben wir hier eine kleine Wohnung gemietet und sind quasi sesshaft geworden - zumindest vorübergehend.
Inzwischen benutzen wir die Metro genau so routiniert wie die Einheimischen, denn unsere Wohnung befindet sich etwas abseits vom Zentrum. Nur an den infernalischen Lärm während der Fahrt gewöhnt man sich kaum. Es ist eben altbewährte russische Technik.
Im Zentrum protzen gewaltige sowjetische Prunkbauten entlang mehrspuriger Straßen, die man auf Grund des dichten Verkehrs, nur unter Einsatz seines Lebens überqueren kann. Abseits davon bietet sich in den schmalen Gassen der Altstadt ein ganz anderes Bild. Hübsch restaurierte Häuschen mit kunstvoll verzierten Balkonen und gleich daneben einsturzgefährdete Häuser, die mit Balken abgestützt werden müssen. Überhaupt sind die Spuren der letzten Erdbeben hier überall zu entdecken. In manchen Vierteln gibt es kaum eine lotrechte Mauer, dafür überall Risse in den Fassaden. Doch überall in der Stadt wird gebaut, Gerüste und Kräne prägen das Stadtbild. Für uns will das Neue nicht wirklich in das Stadtbild passen. Wahrscheinlich will man mit einer ultramodernen Architektur den Aufbruch in ein neues Georgien symbolisieren. Schade, dass scheinbar kaum Geld für die Restaurierung der alten Bausubstanz da ist.
Tbilisi ist herrlich gelegen. Entlang eines Flusses und ringsherum von Bergen umgeben. Das ist kaum zu toppen. An die zum Teil steilen Ufer des Flusses quetschen sich Kirchen und Häuser und nach kurzen Aufstiegen hat man viele schöne Ausblicke auf die Stadt und die Umgebung. Hoch über der Stadt, am Fuße des Fernsehturms, den man praktisch von überall in der Stadt sieht, befindet sich ein Vergnügungspark. Den gewaltigen Höhenunterschied kann man bequem mit einer modernen Stanseilbahn überwinden, sonst wird es ziemlich schweisstreibend. Besonders beeindruckend ist dann der Ausblick von einer der Kabinen des 65 Meter hohen Riesenrads auf das Häusermeer bis zu den schneebedeckten Bergriesen des Kaukasus am Horizont.
Das Bäderviertel von Tiflis, mit seinen halbkreisförmigen Kuppeln sieht es eher aus wie aus der Türkei stammend, ist auch ein Teil der Altstadt. Heiße Schwefelquellen liefern das Wasser für die Bäder und gaben der Stadt ihren Namen, denn Tbilisi heißt so viel wie „warme Quelle“. Auch wir gönnen uns ein Bad in einem der kleinen Privaträume. Ob es geholfen hat wissen wir noch nicht, doch danach waren wir für den Rest des Tages total geschafft.
Unsere Wohnung befindet sich in einem typischen russischen Mehrfamilienhaus. Von außen sehen diese Häuser aus, als hätte jeder Bewohner seine eigene Wohnung hineingebaut. In den Straßen ringsherum gibt es viele kleine Tante-Emma-Läden und Mini-Bäckereien. Auf den brüchigen Bürgersteigen werden an kleinen Verkaufsständen Obst, Blumen und kleiner Krimskrams angeboten. Zwischen den Häusern herrscht Kabelgewirr und überall hängt Wäsche zum Trocknen. Auch die Armut ist überall präsent. Viele alte Menschen sitzen zum Betteln am Straßenrand und in der Metro klagen viele Kinder ihr Leid. Tbilisi ist voller Widersprüche und hat dennoch einen großen Charme und ist ganz gewiss einen Besuch wert.
Unsere Überwinterung in Georgien haben wir schon seit langem in Betracht gezogen. Die Voraussetzungen sind geradezu ideal. Wir genießen eine großzügige Aufenthaltsregelung, wie in kaum einem Land außerhalb der EU, und die Lebenshaltung ist preiswert. Natürlich wollten wir vorher noch einige Runden durch dieses wunderschöne und interessante Georgien und das Nachbarland Armenien drehen, aber nun halten uns die schneebedeckten Bergkämme rund um Tbilisi davon ab. Denn wenn man hier radelt, lässt es sich kaum vermeiden, dass irgendwann ein 2000 Meter hoher Pass zu überwinden ist. Also verschieben wir das ins nächste Jahr. Ansonsten wollen wir aber die Zeit nutzen, um unsere Weiterfahrt im Frühjahr zu organisieren, denn ab dann sind auch ein paar Visa nötig, um in Richtung Osten weiter radeln zu können.