26. November - 16. Dezember 2017
Kathmandu - Nagarkot - Panauti - Bardibas - Hetauda - Kathmandu
Bisher geradelte Strecke: 515 km
Nun sind wir also wieder unterwegs. Unser Heimaturlaub hat nicht ganz so lange gedauert wie im letzten Winter und wir haben uns schnell an das Schmieden neuer Pläne gemacht. Diesmal soll es eine Radtour durch Nepal und Indien werden. Diese Region steht schon länger auf unserer Wunschliste und zumal auch unsere Tochter zurzeit in Indien lebt und unseren Besuch dort erwartet. Ein knappes halbes Jahr wollen wir unterwegs sein. Wir freuen uns sehr auf das Kennenlernen dieser Kultur, haben allerdings auch eine gehörige Portion Respekt vor dem Vorhaben. Wissen wir doch ziemlich sicher, dass diese Reise in einer ganz anderen Liga spielen wird, als unser diesjähriger geruhsamer Europatrip.
Unsere Tour in Etappen wird so langsam zur Gewohnheit. Heimkommen, freudiges Wiedersehen mit Familie und Freunde, ein paar Kilo anfuttern, Ausrüstung auf Vordermann bringen, packen, emotionales Abschiednehmen und wieder losziehen - reine Routine. ... na ja, nicht ganz, aber irgendwie wird es immer einfacher. Wir haben uns scheinbar an unser neues Leben gewöhnt.
Am letzten Novembersonntag geht es los. Dresden verabschiedet uns mit einem sonnigen, allerdings kalten Morgen. Doch beim Abflug in München am Abend bleibt ein graues diesiges Deutschland zurück. Nichts wie weg. Für solch typisch europäisches Winterschmuddelwetter haben wir nichts übrig.
Etwa 12 Stunden später stehen wir in der Nachmittagssonne Nepals. Auch hier ist jetzt Winter, doch mit Temperaturen am Tag von 20 °C können wir leben. Sofort nach der Landung beteiligen wir uns an dem Run auf die Visaautomaten. Wir hätten diese Angelegenheit auch schon von Deutschland aus erledigen können, da wir jedoch zeitgleich auch Visa für Indien ordern mussten, haben wir uns für die mögliche Variante vor Ort entschieden. Nachdem wir das Prozedere der unzähligen Eingaben gemeistert haben, stellen wir erstaunt fest, dass die anderen dies offensichtlich schneller gehändelt haben, denn der Bereich hat sich schon ziemlich geleert. Die Beamten sind zwar sehr verwundert über unsere lange beantragte Reisezeit - das scheint nicht so häufig vorzukommen, doch alles wird unproblematisch genehmigt. Nett die Nepalesen! 90 Tage dürfen wir nun also im Land bleiben. Auch unser Gepäck hat die Anreise vollzählig und pünktlich gemeistert, hatten wir doch auf Grund der sehr kurzen Umsteigezeit im Oman diesbezüglich große Bedenken.
Unmittelbar neben dem Ausgang des Flughafens findet sich ein ruhiges Eckchen, um die Räder in einen fahrtüchtigen Zustand zu bringen. Dann machen wir uns auf den Weg in das glücklicherweise nicht allzu weite Zentrum Kathmandus. Wir müssen unsere Feuertaufe im total chaotischen nepalesischen Verkehr bestehen. Nur wenige Meter hinter dem Flughafengebäude ist man mittendrin. Klapprige Busse, Autos, Mopeds und ähnliche Transportmittel wuseln um uns herum und machen sich hupend gegenseitig bemerkbar. Da hilft nur mit dem Strom mitzuschwimmen, nur keine Angst zeigen, Kopf hoch, selbstbewusst in die Pedalen treten und man wird weitgehend akzeptiert. Der ungewohnte Linksverkehr wird dabei zur Nebensache. Mitten in dem Chaos versuchen Polizisten den Verkehr zu regeln. Was mögen die nur für eine Lebenserwartung haben? Überhaupt gleicht es einem Wunder, dass wir keinen einzigen Unfall zu sehen bekommen. Nach einer knappen Stunde Fahrzeit ist es überstanden. Im Stadtzentrum werden die Straßen zu schmalen holprigen Pisten und damit auch der Verkehr etwas erträglicher. Rechtzeitig vorm Dunkelwerden erreichen wir unser gebuchtes Hotel, dass in einer ruhigen kleinen Sackgasse liegt. Wir werden freudig empfangen und bekommen unseren Krempel hinauf in die vierte Etage geschleppt. Was für ein Luxus! Schnell noch ein erstes Mal die nepalesische Speisekarte getestet und wir fallen sogleich in einen mehr als 12 stündigen Tiefschlaf.
Wir bleiben 4 Tage in der Stadt und gewöhnen uns langsam wieder an einen normalen Zeitrhythmus und natürlich an das Land, in dem wir uns nun die folgenden Wochen aufhalten werden. Kathmandu ist nicht Liebe auf den ersten Blick. Wenn man nicht wie wir schon einige andere Großstädte in Asien, Afrika und Südamerika erlebt hat, wird man sicherlich einen Kulturschock erleiden. Auch in der Innenstadt herrscht auf den in schlechtem Zustand befindlichen Straßen ein unglaubliches Chaos. Die Architektur der dicht beieinander stehenden Häuser wirkt nicht nur ungewohnt, sondern auch sehr marode und das typische Wirrwarr aus Stromleitungen ist uns nicht unbekannt. Es ist eng und dennoch wird eifrig gebaut, um jeden noch verfügbaren Fleck zu nutzen.
Überall herrscht geschäftiges Treiben und das Vorwärtskommen, auch zu Fuß, gleicht einem Hindernislauf. Und mitten in dem Getümmel überall verstreut kleine Tempel und Gebetsstätten in Nischen, an denen der eine oder andere seine Andacht hält. Die Luftverschmutzung ist enorm. Alles ist verstaubt und voller Abgase. Die wenigen Bäume zieren sich mit beklagenswertem grauem Blätterwerk. Schon bald kratzt es uns bedenklich im Hals und wir müssen häufiger husten. Vielleicht machen wir es lieber den zahlreichen Passanten nach, die sich mit einem Mundschutz zu schützen versuchen. Und das machen nicht nur verwöhnte Touristen, auch viele Einheimische sind so unterwegs. Trotzdem ist Kathmandu eine Stadt, die einen gefangen nimmt und wir sind glücklicherweise soweit vorgeprägt, dass wir uns schon nach kurzer Zeit vom Flair und Charme der fremden Kultur einnehmen lassen können. An jeder Ecke gibt es Neues und Interessantes zu bestaunen.
Unser Hotel befindet sich in Thamel, dem Touristenzentrum Kathmandus. Hier gibt es alles was ein Trekkerherz begehrt. Unterkünfte und Einkehrmöglichkeiten für jeden Geldbeutel, Touranbieter warten auf Abenteuerlustige und es reiht sich ein Laden an den anderen. Das Angebot ist umfassend und die Verkäufer sind angenehm zurückhaltend. Es gibt kunstvolle traditionelle Souvenirs und Kitsch, edle Stoffe aus Cashmere oder Pashmina und billige bunt bedruckte T-Shirts und Hippiekleidung und Bücherläden voller Bildbände und stapelweise Trekkingkarten und mittendrin jede Menge Ausrüstungsläden, wo man sich für die bevorstehende Trekkingtour in die Berge umfassend bestücken kann. Egal ob Schlafsack, Daunenjacke, Rucksack oder Kletterseil - es gibt scheinbar alles Notwendige. Für uns von Bedeutung ist das Angebot an Campinggas. Normalerweise hat man mit dem Besorgen desgleichen nach einem Flug außerhalb Europas so seine Probleme. Hier jedoch erfreulicherweise nicht und das sogar zu vernünftigen Preisen.
Wo wir gerade beim Thema Geld sind: Da haben wir doch gleich das erste Problem auf dieser Reise zu lösen, denn erst nach einigen Versuchen, ist ein Automat gewillt uns ein paar Rupien auszuspucken. Jeder weitere Versuch scheitert jedoch und wir werden allmählich unsicher. Dann erreicht uns aus der Heimat die Nachricht, dass unsere Bank, aufgrund seltsamer Kontobewegungen, die Karte gesperrt hat. Ist wahrscheinlich ungewöhnlich, dass jemand aus dieser Ecke der Welt nach Geld verlangt. Nun ja, jedenfalls können wir dank der Unterstützung von unserer Heimatbasis - der Familie von Petras Bruder - nach einem kurzen Anruf bei der Bank alles klären und halten bald die nötigen tausende von Rupien in den Händen. Wir können uns wieder entspannen - puh.
Bei unseren Streifzügen durch die Stadt ist Vorsicht geboten, denn schnell kann man in den Gassen die Orientierung verlieren. Das Navi wird hier überlebensnotwendig. Erfreulicherweise gibt es sogar ein paar Straßen ohne Autoverkehr, wo man sich kurzzeitig mal entspannt vorwärtsbewegen kann ohne darauf achten zu müssen, nicht unter irgendwelche Räder zu geraten. Und ansonsten stehen an vielen Orten Verkehrsschilder, die das Hupen verbieten. Doch scheinbar sind sie nur als Empfehlung gedacht, denn kaum einer hält sich daran.
Wir besichtigen den Durbar Square, eine der Hauptsehenswürdigkeiten der Stadt. Das Gelände, das den alten Königspalast Kathmandus umgibt, ist erfreulicherweise ebenfalls autofrei. Doch die Gebäude des Palastes sowie die zahlreichen Tempel und Pagoden sind in einem sehr bedauerlichen Zustand. Überall Spuren des verheerenden Erdbebens von vor 2 1/2 Jahren. Fast alle noch stehenden Gebäude sind eingerüstet oder werden durch Stützen vorm Zusammenfall bewahrt. Es sind zwar umfangreiche Bauarbeiten im Gange, doch hier muss einiges investiert werden, um alles wieder wirklich sehenswert aufzubauen, bzw. zu erhalten. Ob der kleine Staat dazu in der Lage ist? Erstaunlich ist jedoch, dass man im übrigen Teil der Stadt kaum Spuren von dem für die Bevölkerung so dramatischen Ereignisses findet.
In dem Viertel befindet sich auch der Palast der Kumari, der "lebenden Kindgöttin". Obwohl der Begriff Palast in unseren Augen nicht unbedingt zutreffend zu sein scheint. Ein klitzekleiner Innenhof wird von einem zweistöckigem Gebäude umringt, das mit vielen Holzschnitzereien ausgestattet ist. Auch hier gibt es viele Sicherungsmaßnahmen für die Standhaftigkeit des Gebäudes. In Deutschland wäre das Bewohnen eines derart gefährdeten Gebäudes sicher verboten. Uns zeigt sich die "Göttin" jedenfalls nicht. Welches normale Kind hat auch freiwillig Lust sich so zur Schau zu stellen? Obwohl ..., ist die kleine Auserwählte ein normales Kind? Uns tut sie jedenfalls eher leid.
Nach weiteren kleinen Streifzügen durch Nepals Hauptstadt, fühlen wir uns genug vorbereitet, um uns nun aufzumachen das Land kennenzulernen. Kathmandu hat einen rauen Charme, ist ausgesprochen lebhaft und interessant. Kann man diese Stadt ins Herz schließen? .... wir sind jedenfalls um eine Erfahrung reicher und froh diese gemacht zu haben. Nun sind wir aber gespannt auf das was uns jenseits der Stadt erwarten wird und vor allem auf die wirklich großen Berggiganten dieser Welt. Ob wir sie zu sehen bekommen?
Voll motiviert machen wir uns also auf den Weg. Eine Eingewöhnungstour rund um Kathmandu soll es werden. Wir mischen uns ins nun schon etwas vertrautere quirlige Verkehrsgeschehen, werfen im Vorbeifahren noch einen Blick auf die Bodnath Stuba, einem imposanten Bauwerk und wichtigen Pilgerort für Buddhisten und verlassen die Stadt Richtung Nordosten. Nur reichlich 30 km sind es bis zu unserem ersten Tagesziel Nagarkot, jedoch fast 800 Höhenmeter müssen bezwungen werden. Nach 10 km ist die Stadtgrenze von Kathmandu erreicht und wir stellen erfreulicherweise fest, dass auch fern der Touristenströme die Nepalesen total entspannt auf uns reagieren. Ein freundliches Namaste, Hello, Bye-bye o. ä. und evtl. ein interessierter Blick und schon geht man weiter seiner Wege. Sehr angenehm!
Wir biegen auf eine Nebenpiste ab. Doch schon bald wird unsere Reiseeuphorie gestoppt, denn uns erwischt eine erste schwerwiegende Panne. Das kann doch nicht wahr sein. Die Räder wurden während unseres Heimataufenthalts von Mathias einer totalen Überholung unterzogen und auch die Halterungen der Gepäckträger, die während der letzten Reisen gebrochen waren, wurden in einer Werkstatt neu angelötet. Und nun das. Nach gerade mal 20 gefahrenen Kilometern bricht schon die Erste wieder! Mathi versucht zu retten, was möglich ist, um die ganze Chose erstmal notdürftig zusammenzuhalten, bis wir eine haltbarere Lösung anfertigen lassen können. Petra packt sich noch das Zelt aufs Rad, um wenigstens für etwas Entlastung zu sorgen. Ob es hilft? Zudem wird jetzt auch die von uns gewählte Strecke zu einer steinigen Schotterpiste und die Anstiege sind so steil, dass wir fast nur noch schiebend vorwärtskommen. Von wegen "Eingewöhnungstour"! Wir müssen gleich voll ran und das obwohl unsere Kondition soeben erst aus einem eben erst begonnen Winterschlaf gerissen wurde. Wir quälen uns gewaltig und kommen nur sehr langsam voran. Verkehr ist kaum noch, nur ein paar Motorräder - kein Wunder, bei der Piste.
Die Hügel ringsum sind dicht bewaldet, hin und wieder kleine Terrassenfelder und vereinzelte Häuser. Nach vielen Kehren kommen wir auf einem Bergrücken durch eine kleine Ansiedlung entlang der Straße und dann ganz plötzlich sieht man sie am Horizont - die Schneegipfel der Bergriesen. Ein tolles Gefühl. Da weiß man wenigstens, dass sich die Plackerei gelohnt hat. Doch viel Zeit bleibt uns nicht, um sie zu bestaunen, denn die Sonne steht schon tief und wir müssen uns beeilen, um noch bei Tageslicht unsere gebuchte Unterkunft zu erreichen. Nagarkot ist eine Ansammlung aus Unterkünften und Einkehrmöglichkeiten entlang der Straße. Alles wartet auf Reisende, die das von hier sichtbare Himalaya-Panorama betrachten wollen. Völlig geschafft nach dieser ersten Etappe kriechen wir schon zeitig ins Bett, auch weil dies in fast 2000 m Höhe nach Sonnenuntergang der wärmste Platz weit und breit ist.
Doch bei Tagesanbruch ist die Sonne wieder da und beschert uns angenehme sonnig warme Temperaturen. Wir müssen unsere Route etwas abändern, in der Hoffnung im nahen Bakthabur einen kompetenten Handwerker zu finden, der uns mit unserem Materialproblem weiterhelfen kann. Zunächst aber machen wir noch einen kleinen Umweg und strampeln, bzw. schieben noch mal fast 4 km weiter hinauf. Auf einem Pass gibt es einen Aussichtspunkt mit einem einfachen, nach deutscher Norm keinesfalls sicherem Eisentürmchen. Wir kraxeln dennoch hinauf und können so noch mal einen Rundumblick auf die schneebedeckten Berggipfel werfen. Dann geht es wieder hinab ins etwa 15 km entfernte Bhaktapur.
Schon in einem Vorort der Stadt sichten wir am Straßenrand eine Werkstatt. Mathi beginnt dem guten Mann, anhand einer Skizze, begreiflich zu machen, was wir brauchen und unter Beobachtung von ein paar Neugierigen wird sich sogleich ans Werk gemacht. Petra unterhält derweil die herzu gekommenen Kinder. Erstaunlich, wie hemmungslos die ihre englischen Schulkenntnisse anwenden und drauflos plappern. Nach kurzer Zeit schon ist das Werk vollbracht. 100 Nepalesische Rupien, etwa 80 Eurocent will der Mann haben und sieht glücklich aus, über den kargen Lohn. Auch wir sind es.
Um die historische Altstadt Bhaktapurs machen wir jedoch einen großen Bogen, nachdem man uns sogar motorisiert nachstellt, um einen nicht geringen Eintrittsobolus für Touristen abzuknöpfen. Das wird uns zu teuer. Wir können doch nicht für jede nepalesische Tempelanlage fast 10 € Eintritt bezahlen, das würde unser Budget dann doch etwas übersteigen. Zumal manche Tempel dann doch leider nur für Gläubige zugänglich sind und wir nun mal absolut keine Ähnlichkeiten mit diesen haben und somit auch sofort auffallen und am Eintritt gehindert werden. So setzen wir unsere Fahrt fort und erreichen Panauti, wo wir am Abend durch die noch recht ursprünglich erhaltene Altstadt streifen. Dabei geraden wir in Hochzeitsfeierlichkeiten. Gut gelaunt schlendert die Gesellschaft kreuz und quer durch die Gassen, um hin und wieder zu verweilen und zu Blasmusik und Trommelklang ausgelassen zu tanzen.
Am nächsten Morgen kann Mathias mit Erfolg die von der Werkstatt gefertigten Teile ans Rad schrauben. Hoffentlich hält es! Vor der Weiterfahrt besichtigen wir noch Panautis Tempelbezirk, eine mittelalterliche Anlage am heiligen Zusammenfluss zweier Flüsse und - keiner will Eintritt.
In den nächsten drei Tagen nähern wir uns dem südlichen Tiefland Nepals. Zuvor gilt es noch einige Hügel zu überwinden, zuerst geht es auf ruhigen und holprigen Nebenpisten und dann auf einem der verkehrsreichen Nepal-„Highways“ dahin. In regelmäßigen Abständen kommen wir durch Ortschaften, in denen sich stets die Möglichkeit findet, um in einem der zahlreichen Minilädchen einzukaufen oder in einem der einfachen Straßenrestaurants zu essen. Als wir an einem der kleinen Läden halten, stürzt sich ein Hund auf Mathias und ehe wir uns versehen, reißt er einen riesigen Schlitz in die Gepäcktasche. Nach dem ersten Schreck ist jedoch unsere Wut schnell verraucht, denn wir sind überglücklich und danken den vielen hier präsenten Göttern, dass der Köder nicht das Bein erwischt hat. Der etwa 20 cm lange Riss in der Tasche ist schnell geflickt, mit dem Bein wäre es nicht so glimpflich ausgegangen. Dennoch sind wir natürlich etwas gefrustet. Hunde gibt es hier viele entlang der Straßen. Meist sind es freilaufende, die kaum Notiz von uns nehmen. Doch scheinbar müssen wir nun doch etwas mehr Vorsicht in dieser Beziehung walten lassen.
Zum ersten Mal schlagen wir auch unser Zelt zum Übernachten auf. Und das geht besser als gedacht. Es finden sich dafür ungestörte Plätzchen, meist in Flusstälern und Vorbeikommende verhalten sich, wie gewohnt, zwar interessiert, aber nicht aufdringlich. Einmal fragen wir Leute, die in der Nähe ihre Felder bearbeiten, ob es ein Problem mit unserer beabsichtigten Übernachtung gibt. Durch sprachliche Verständigungsschwierigkeiten etwas gehandicapt beginnt zunächst ein endloses Palaver. Wir können das typische regionale Kopfschaukeln, das man weder als Nicken noch als Schütteln deuten kann, noch nicht richtig einschätzen. Doch als wir uns letztendlich niederlassen, sind alle zufrieden. Erfreulicherweise scheinen die Nepalesen auch viel Wert auf Nachtruhe zu legen, denn zu gegebener Zeit zieht himmlische Ruhe auf den Straßen und in den Orten ein. So gefällt uns Nepal.
Nach einigem auf und ab geht es endgültig hinab. Es wird zunehmend wärmer und wir erreichen das Terai, die südlich des Himalaya gelegene fruchtbare Tiefebene, die sich wenige hundert Meter über dem Meeresspiegel befindet und sich entlang der Grenze zu Indien erstreckt. In dem tropischen Klima lebt, in dem auch landwirtschaftlich genutzten Gebiet, fast die Hälfte der Landesbevölkerung. So erreichen wir die Stadt Sindhuli und können uns in einem Hotelzimmer den im Land unvermeidlichen Straßenstaub abspülen.
Als wir am nächsten Tag beim Frühstück auf dem Hotelbalkon sitzen, ist irgendwas komisch. Dann fällt es uns auf: unheimliche Stille über dem Ort, kein Verkehr auf der Straße, nichts, kein Auto, kein Motorrad, kein Gehupe. Stattdessen, trotz der Morgenstunde, emsiges Gewusel auf dem Sportplatz des Ortes. Dort hat das örtliche Wahllokal geöffnet. Ein wichtiger Wahltag für Nepal beginnt. Aus Angst vor Anschlägen sind heute landesweit jegliche Straßen für den Verkehr gesperrt. Nur Fahrzeuge mit Sondergenehmigung sind erlaubt. Ein Paradies für Radfahrer. Genial, wir sind ganz allein unterwegs. Hin und wieder begegnen wir Fußgängern, welche auf dem Weg zu den Wahllokalen sind und so manche müssen dabei sicher einige Kilometer zurücklegen. Ach könnte nicht jeden Tag Wahl sein.
Neben der Straße üppig grüner Wald und Geräusche, wie im Urwald. In den Orten sind die Häuser jetzt oft eher einfache Hütten. Eben geht es dahin und wir erreichen Bardibas, einen größeren Ort im östlichen Terai. Auch hier leere Straßen, nur Fußgänger und Militärposten. Da niemand unterwegs ist, haben leider auch die Straßenrestaurants und die meisten Läden geschlossen. An der großen Straßenkreuzung, an der unser Route Richtung Westen abbiegt, treffen wir auf die ersten Reiseradler dieser Tour. Camille und Xavier aus Frankreich sind schon seit 8 Monaten unterwegs und so gibt es einiges zu erzählen. Der Tag neigt sich dem Ende, als sich unsere Wege wieder trennen, denn sie sind in der Gegenrichtung unterwegs. Noch ein kleines Stück können wir auf der einsamen Straße dahin radeln, ehe wir in einem trockenen Flusstal wieder unser Zelt aufschlagen. Die Nächte sind hier in der Region gleich viel milder, doch müssen wir auch zugleich Moskitos den Zutritt zum Zelt abwehren. Die hatten sich bisher in den höheren Regionen noch nicht blicken lassen.
Am nächsten Tag sind die Straßen wieder für den Verkehr freigegeben und mit dem ungestörten Radeln ist Schluss. Jedoch muss man den Auto- und Motorradfahrern zugutehalten, dass sie doch meist rücksichtsvoll sind. Hohes Tempo ist bei den schlechten schmalen Straßen und den oft schon in die Jahre gekommen und oft übervoll beladenen Gefährten ohnehin nicht möglich und das Talent im Ausweichen, Abbremsen und Slalomfahren scheint den Nepalesen im Blut zu liegen. Das sie ein ausgeglichenes und entspanntes Gemüt besitzen, haben wir ja schon erwähnt.
An einer Brücke herrscht plötzlich Panik, alles kommt zurückgerannt und Autofahrer gestikulieren wild. Was ist los, ein Unfall, bricht die Brücke zusammen, oder was? Dann sehen wir, dass ein Mann von einem Bienenschwarm attackiert wird. Doch es gelingt ihm sich zu retten und auch wir kommen ungeschoren vorbei. Inzwischen hat sich aber auf der Brücke ein Stau gebildet, der sich nur langsam wieder auflöst.
Dann läuft aber alles wieder wie gehabt weiter und das im wahrsten Sinne des Wortes, denn nun haben wir ein Deja-vu-Erlebnis, das Gefühl eine Situation schon einmal so erlebt zu haben. Doch es ist nicht nur ein Gefühl, wir erleben das Geschehen tatsächlich erneut. Ein sehr bekanntes Geräusch in Nähe des Hinterrads - diesmal aber bei Petra. Auch ihre Gepäckträgerbefestigung am Rahmen verabschiedet sich. Hatten wir zuvor den Glauben, der Schaden an Mathias Rad könnte vom ruppigen Flugtransport herrühren, wird es nun klar, dass unser Fahrradmechaniker seine Fähigkeiten im Hartlöten dringend verbessern muss. Unter Beobachtung einer Menschenmenge wird nun auch dieser Schaden zunächst provisorisch behoben. Doch so langsam sind wir richtig genervt von dem Problem.
Am nächsten Tag erreichen wir eine der Hauptverbindungsstraßen nach Indien. Hier ist der Teufel los. Dichter Verkehr mit vielen großen Lastern. Die in einem miserablen Zustand befindliche Straße hat in jede Richtung eine Spur und keinen bzw. einen unpassierbarem Randstreifen. Am Schlimmsten sind die Busfahrer, die blasen einen nicht selten von der Straße in den Schotter. Zudem geht es 20 km bergauf, zum Glück nicht steil. Aber die Fahrt ist nervenaufreibend und wir müssen jede Menge Dieseldreck schlucken. Die schlimmsten Kilometer, die wir bisher im Land erlebt haben. Dann rollt es 10 km hinunter bis nach Hetauda.
Die Stadt ist ein Verkehrsknotenpunkt und wichtiges Industriezentrum des Landes. Wir steuern das erstbeste Hotel an der Straße an und quartieren uns für einen Ruhetag ein. Unterkunftsmöglichkeiten findet man im Land reichlich, auch wenn wir inzwischen festgestellt haben, dass nicht alles, wo Hotel dran steht, auch eines drin ist. Da ist wohl so manches mal nur der Wunsch, mal so etwas zu betreiben, vorhanden. Doch man kann schon für 10 € ein vernünftiges Zimmer mit Bad bekommen. Diese sind einfach und meist ist die Installation von Elektrik und Wasser bissel simpel und störanfällig, aber fast immer sauber und ordentlich, wenn die Ansprüche nicht zu hoch sind. Auch sind die Betreiber überwiegend zuvorkommend und freundlich. Es wäre kein Problem, ohne Campingausrüstung durch das Land zu kommen, aber wir lieben ja diese Unabhängigkeit.
Die Wahl liegt inzwischen drei Tage zurück und man hat die Stimmen ausgezählt. Vorm Hotel werden lautstarke und vor allem freudige Wahlpartys gehalten. Nun kann man dem Land nur noch eine hoffentlich ebenso positive und friedliche Zukunft wünschen.
Beim Verlassen Hetaudas findet sich abermals eine kleine Werkstatt, die uns erneut ein paar passende Teile, nun für Petras Rahmen, fertigt. Diesmal will man kein Geld dafür nehmen und wünscht uns stattdessen eine schöne Weiterreise - Danke!
Bis zurück nach Kathmandu, dem Ziel unserer Eingewöhnungsrunde, sind es nun nur noch 40 Kilometer - allerdings Luftlinie. In Wirklichkeit sind es dann über 100 km. Doch der landschaftlich wirklich sehr attraktive Tribhuvan Highway, den wir benutzen wollen, führt zunächst sehr kurvenreich 50 Kilometer ununterbrochen bergauf und überwindet dabei mehr als 2100 Höhenmeter. Eine Serpentine folgt der nächsten, dann geht es um einen Bergrücken und schon sieht man die nächsten vor sich, die sich wie Schlangen die Berge hoch winden. Unten herrscht noch üppige tropische Vegetation und Bananenstauden säumen den Straßenrand. Später wird es karger.
Da es für den Auto- und vor allem LKW-Verkehr einfachere Routen gibt, geht es für nepalesische Verhältnisse ausgesprochen friedlich auf der Strecke zu. Fahrzeuge hört man schon, wenn sie sich viele Kurven zuvor, weiter oben oder unten, hupend bemerkbar machen. Da kaum Platz für zwei sich begegnende Fahrzeuge ist, bremsen die sich gegenseitig aus, wenn sie umeinander herum rangieren müssen und die vielen steilen Kurven lassen ohnehin keine großen Geschwindigkeiten zu. Stets hat man einen überwältigenden Ausblick auf die vielen Kehren, die man bereits gemeistert hat.
Von unserem ersten Übernachtungsplatz neben der Straße kann man noch auf das weit unten im Tal liegende Hetauda zurückblicken. Die Steigung ist selten zu stark und so kann man schon fast gemütlich zum Pass hinauf kurbeln. Vielleicht liegt es ja auch daran, dass sich unsere Kondition inzwischen wieder besonnen hat, zu was sie fähig ist. Dennoch kommen wir nur langsam voran und benötigen fast zwei Tage für die 50 km.
Die tollen Ausblicke auf den Himalaja, jenseits des Passes, lassen dann jede Anstrengung schnell vergessen. Bis zum etwa 170 km entfernten Mount Everest reicht der Blick - nur, welcher der vielen Schneegipfel es wirklich ist, können wir nur vermuten. Diese Strecke ist zu einem Highlight auf unserer bisherigen Tour geworden. Die Fahrt hinunter ins Kathmandutal ist dagegen wieder anspruchsvoll, der Verkehr wieder stärker, die Straße miserabel und es gilt einige, zum Teil steile, Zwischenabstiege zu überwinden. Doch fast die gesamte Zeit hat man das Himalaya-Panorama vor sich, ehe man im grauen Dunst von Kathmandu eintaucht.
Nach 12 Radeltagen und rund 500 km kehren wir in die uns nun schon vertraute Großstadt zurück und werden vom Personal des Hotels, demselben, wie bei unserem ersten Besuch, überaus erfreut willkommen geheißen - wie Heimkehrende.