31. Januar - 20. Februar 2018
Orchha - Indore - Mandu - Mumbai
Geradelte Strecke: 1310 km (Insgesamt 3365 km)
Ende Januar erreichen wir Orchha. Die kleine Stadt wird im Reisführer als ruhig und friedlich beschrieben. Doch uns erwartet im Zentrum ein unheimliches Gedränge, wo tausende indische Pilger vor einem Tempel versammelt sind und in langen Schlangen auf Einlass warten. Der typisch monotone Gebetssingsang versucht das Stimmengewirr zu übertönen. Das ganze Jahr über zieht der palastähnliche farbenfrohe Tempel vor allem inländische Pilger an. Da gerade mal wieder ein hinduistischer Feiertag ansteht, sind die Besucherzahlen ausgerechnet jetzt um ein Vielfaches höher. Ja, auch wenn es so aussieht, als würden wir uns wiederholen, es vergeht keine Woche in Indien ohne einen Festtag. Das ist nun schon der 4. seit drei Wochen.
Orchha war vor mehr als 400 Jahren der Sitz eines Fürstentums in Zentralindien. Am Ufer des Betwa Flusses entstand auf der einen Seite der kleine Ort und auf der anderen eine große Festungsanlage. Beide wurden mit einer Brücke miteinander verbunden. Diese macht einen eindeutig solideren Eindruck, als die wesentlich jüngere und viel kleinere Brücke, die irgendwie provisorisch wirkt und über die der Verkehr auf die andere Flussseite rattert. Während der Regenzeit wird sie wahrscheinlich unpassierbar sein.
Die damaligen Herrscher haben ein paar sehr eindrucksvolle Paläste und Tempel geschaffen, die auch heute noch, trotz Verfall und mangelnder Instandhaltung, noch viel von ihrer ehemaligen Pracht ausstrahlen.
Bedeutendstes Bauwerk ist der vielräumige Herrschaftssitz des Fürsten und sein ebenso repräsentativer Anbau. Von außen wie eine wuchtige und wehrhafte Festung gebaut, machen die zahllosen Türmchen, Balkone und Verzierungen doch eher einen Palast daraus. Wir durchstreifen die beiden mehrstöckigen Gebäude, die sich jeweils um einen großen Innenhof erstrecken.
Unzählige, kleine und meist finstere Räume erscheinen wie ein Labyrinth. Sicher angenehme Aufenthaltsorte für die hier einst Lebenden an den heißen Sommertagen. Steile Treppen verbinden die Stockwerke. Entlang der Außenmauer befindet sich eine Art Galerie, wo man durch kunstvoll angeordnete, in den Stein gehauene Öffnungen einen Blick auf die Umgebung hat. Auf der Innenseite hat man von schmalen Terrassen einen Überblick über den Innenhof. Man muss schon genau suchen, um noch ein paar einzelne verbliebene farbige Kacheln an den Fassaden und wenige, aber sehr ansprechende bunte Wandmalereien im Inneren zu entdecken.
Schön ist, dass man auf eigene Faust alle Räumlichkeiten erkunden kann, selbst bis in die höchsten Etagen. Es ist ganz schön abenteuerlich. Passt man nicht auf, könnte man überall über die niedrigen Brüstungen in die Tiefe fallen oder sich in dem undurchschaubaren Gewirr von Räumen, Gängen und engen Treppen verlaufen. Es ist sehr interessant und es finden sich viele schöne Fotomotive.
Es gibt auch außerhalb der Festungsmauern noch einige weitere interessante Bauwerke, verstreut im und um den Ort. Beinahe idyllisch am felsigen Flussufer der Betwa liegen die weitgehend gleich gestalteten Chhatris - kleine tempelähnliche Pavillons. Geier sitzen auf den Türmen und die Anlage ist grün und gepflegt. Am Flussufer geht es nicht so beschaulich zu. Es ist sehr vermüllt. Dennoch baden einige - einen echten Inder stört doch so was nicht.
Dank der Touristen im Ort gibt es auch ein kleines überschaubares Angebot an Einkehrmöglickeiten, welche wir natürlich ausgiebig nutzen. Dabei verpassen wir beinahe ein Naturschauspiel, welches sich hier in der letzten Januarnacht am Himmel abspielt. Als wir den Heimweg antreten wollen, sehen wir durch puren Zufall direkt über der Festung den heutigen Vollmond, der mit einer totalen Mondfinsternis einhergeht. Da haben wir schon mal klares Wetter und beste Sicht und verpassen aus Unwissenheit fast dieses Ereignis. Es ist eine besondere Mondfinsternis, weil der Mond sehr nah zur Erde steht.
Irgendwann brauchte der Fürstenhof einen Ortswechsel und zog in das etwa 80 km entfernte Tikamgarh um. Wir machen es ihm nach und schwingen uns wieder auf die Räder. Die recht große Stadt verlockt uns jedoch so gar nicht, um z. B.: in der hiesigen Festung auf Entdeckungstour zu gehen. Die Provinzhauptstadt ist trist, laut und schmutzig, wie auch unser Hotelzimmer, also schnell wieder weg.
Am Morgen geht es in den Orten meist recht beschaulich zu. Die Inder sind offensichtlich Spätaufsteher. Dort wo man am Abend kaum vorwärtskommt, weil neben dem vielen Verkehr zudem noch zahlreiche Händler ihre Waren anbieten, ist es am Morgen viel übersichtlicher und manchmal kümmern sich sogar mit Reisigbesen bewaffnete Trupps, mit mehr oder weniger Erfolg, um die Beseitigung der Hinterlassenschaften des Vortags.
Mit die ersten, die unterwegs sind, sind die Schulkinder. Sie legen zu Fuß, auf Mopeds gestapelt oder in Tucktucks und klapprige Schulbusse gequetscht ihre, vor allem in ländlichen Regionen nicht selten sehr langen Schulwege zurück. Und das manchmal auch an Wochenendtagen. Da sieht man irgendwie nicht so richtig durch.
Jedoch halten sich auch auffallend viele Kinder vor den Häusern auf, obwohl in der Schule nebenan lautes Stimmengewirr, von einem Schultag kündet. Das erklärt vielleicht, dass trotz landesweiter Schulpflicht im Norden Indiens noch eine hohe Analphabetenrate besteht. Als wir einmal einer, der um uns versammelten Menschenmenge einen Zettel mit der Adresse eines Hotels unter die Nasen halten, wenden sich auffallend viele abrupt und etwas beschämt ab - erschreckend viel junge unter ihnen.
Die Schulen sind in unterschiedlichem Zustand. Manche ähneln eher Baracken, während andere riesige mehrstöckige Gebäude sind. Von alt und verfallen bis neu und farbenfroh ist jeder Zustand vertreten. Viele Werbetafeln zeugen auch von einem Boom der Privatschulen im Land.
Auf unserer Weiterfahrt nutzen wir als Verbindung zwischen zwei Hauptstraßen für über 30 km eine Piste, auf der wir von Schlagloch zu Schlagloch hoppeln oder auf dem daneben verlaufenden Sandweg herumeiern. So kommt man natürlich kaum vorwärts und wir sind froh und geschafft, als wir uns endlich den angestrebten Highway nähern. An dessen Zufahrt findet gerade ein Jahrmarkt statt. Schick heraus geputzte Familien strömen aus allen Richtungen herzu. Trotz des Massenauflaufs finden wir wenig später in einem unbewirtschafteten Gebiet neben der Straße ein Plätzchen, wo wir völlig ungestört den Abend und die Nacht verbringen. Geht doch, warum klappt das nicht überall in Indien so prima.
Unsere Weiterfahrt in den Südwesten verläuft durch meist eintönige Landschaften. Immer das Gleiche: große Felder, karge Weiden, einzelne kleine Hütten, ärmliche Siedlungen und chaotische Städte.
Teiweise fahren wir auf perfekt ausgebauten Highways auf dessen Seitenstreifen wir ungestört Kilometer machen können. Erstaunlich ist, dass eigentlich nur ganz wenig Verkehr, speziell Güterverkehr, unterwegs ist. Liegt es daran, dass diese Pisten mautpflichtig sind und deshalb viele Lkw-Fahrer eine kostenlose Strecke bevorzugen? Uns kann es recht sein, denn wir rollen, wie die Motorräder, bei jeder Mautstelle einfach durch. Da es in dieser endlosen Ebene nun kaum mal eine Steigung gibt, ist der einzige mögliche Gegner der Wind. Und der hat etwas gegen uns, bläst er uns doch meist entgegen.
Jenseits der Highways sind die Straßen jedoch häufig grottenschlecht. Das Dumme ist, wenn die Straßen mies sind, dann richtig, sodass man auch als Einspurfahrzeug kaum noch Vorteile hat. Schlaglöcher nehmen dann meist die ganze Straßenbreite ein und lassen keinen noch so schmalen Steg übrig, den man holperfrei nutzen könnte. Zum Glück will kaum ein Auto diese Straßen nutzen und wenn, dann nur in einem mäßigen Tempo. So sind wir hier mit den ebenfalls Slalom fahrenden Motorrädern fast allein.
Auf den etwas besseren Landstraßen müssen wir uns dann schon mehr behaupten. Ja nicht zu weit an der Seite fahren, denn das könnte ein paar Übermütige verleiten, uns trotz Gegenverkehrs knapp zu überholen. Ab und zu passiert das trotzdem und dann ist man gezwungen in Richtung Strassengraben auszuweichen, ob man will oder nicht. Aber ansonsten müssen wir den indischen Fahrern schon ein einigermaßen rücksichtsvolles Verhalten zugestehen, auch wenn das jetzt komisch klingt und man meistens genau das Gegenteil hört oder liest.
Ja, und nach wie vor belagern uns die üblichen Neugierigen und Fotomachenwoller. Es nervt gewaltig wenn gefühlte tausendmal pro Tag, Vorbeifahrende uns meist unverständlich vollquatschen, Ewigkeiten neben uns her tuckern, kurz überholen, um wenig später wieder abzubremsen, um uns abermals vorbei zu lassen. Wir geben es zu: Da fällt von unserer Seite auch schon mal ein unschönes Wort. Doch zu unsere Verteidigung sei erwähnt: Verstehen tut man uns eh nicht. Obwohl ..., Idiot ist wahrscheinlich ein international verständlicher Begriff ..., ob in Indien auch!? Erstaunen macht sich stets auf den Gesichtern breit, wenn wir den vielen Aufforderungen zu einem Fotostopp nicht nachkommen. Dann macht man in der Not eben "Selfies" während der Fahrt.
So wurschteln wir uns durch das Land, möglichst auf einer Route, die uns am Abend in Orte bringt, mit der Möglichkeit für eine Hotelübernachtung. Die ist auch öfters gegeben, doch tun sich da neuerlich ganz andere Probleme auf. Manche Hotels sind bei unserem Auftauchen schlagartig belegt und haben kein einziges freies Zimmer. Kaum zu glauben. Vielleicht tun wir ihnen Unrecht, doch wir vermuten eher, dass sie den Aufwand scheuen, den sie bei der Beherbergung von Ausländern haben, denn da macht sich stets eine große Bürokratie bemerkbar.
Findet sich dann ein verfügbares und bezahlbares Zimmer, fehlt oft beim Personal die Bereitschaft, unseren Rädern einen sicheren Stellplatz zu erlauben. Man verweißt uns einfach auf die Straße vorm Hotel. Da parken fast immer schon eine Reihe Motorräder, warum soll das also nicht auch mit unseren Rädern gehen. Darauf lassen wir uns allerdings nicht ein. Doch die Hotelbetreiber lassen sich auch mit gutem Zureden nie von ihrer Meinung abbringen und verzichten lieber auf uns als Gäste. Glücklicherweise gibt es auch Andere und so bekommen unsere Räder ihre wohlverdienten Ruheplätze, meist mit tatkräftiger Unterstützung der Angestellten auf Fluren, neben dem Bett des Nachtpförtners, auf Terrassen und in Garagen oder auch mal direkt in unserem Zimmer.
Selbst in großen Orten haben wir Mühe am Abend uns einigermaßen angemessen zu ernähren. Nicht selten laufen wir Ewigkeiten auf der Suche nach etwas Essbaren durch die Straßen, sehr zur Unterhaltung der Einwohner, denn soweit Hergerreiste machen hier nie Stopp. Es gibt zwar unzählige Fast Food Imbisstände, doch haben die durchweg meist das immer gleiche Angebot. Vor allem fettriefende frittierte Teigtaschen mit einer immer ähnlichen undefinierbaren und unheimlich scharfen Gemüsefüllung, irgendwelchen Linsenpamps, der aus kleinen Schälchen geschaufelt wird und das war es auch schon. An sich ist das alles durchaus essbares Zeug, doch uns hängt es inzwischen zum Halse raus.
So können wir uns glücklich schätzen doch mal eine Art "Restaurant" zu finden. In unseren Breiten würden wir die Räumlichkeiten als Garagen oder Werkstätten nutzen. Fensterlose kleine Räume sind mit Tischen und Stühlen bestückt und gekocht wird in einer kleinen Ecke oder davor am Straßenrand, alles auf einer Flamme und im selben Topf. Die Speisekarte bietet auch hier immer dasselbe, meist das typische Linsengericht. Alles ist rein vegetarisch, nicht mal Eier finden sich bei den Zutaten und auch nur selten Käse. Wer Mathias kennt, wird wissen, wie er bei dieser Auswahl zu leiden hat. Dennoch sind wir schon glücklich über ein Tellerchen Chowmein: gebratene Nudeln mit etwas Gemüse vermischt und auch diese natürlich abartig scharf. Kommen wir danach noch an einem der kleinen Bäckerläden vorbei, gönnen wir uns unverzüglich mehrere Stücke von Sahnetorten. Da versteht man glücklicherweise sein Handwerk auch in diesen Breiten, obwohl es fast immer dieselben Sorten sind.
Die Miniläden haben immer das gleiche Angebot: Chips und Kekse. Alles muss man suchen. Zucker, Nudeln, ... Wovon ernähren die sich hier nur? Cola oder Ähnliches gibt es fast überall auf der Welt, nur hier muss man ernsthaft danach suchen, obwohl die gar nicht teuer ist, reichlich 1 € für zwei Liter. Und wir lechzen regelrecht nach diesen Kohlehydraten. Unsere Ernährung tagsüber beschränkt sich also auf Wasser, Kekse und Obst. Bananen und Orangen sind im Moment Saisonware. Viele kleine Verkaufsstände bieten sie an. Sie sind nicht nur günstig, sondern zudem keimfrei zu schälen. Also, solltet ihr mal ein paar Pfund zu viel auf den Rippen haben, dann kommt nach Nordindien, hier schwinden sie schneller als es euch lieb ist.
Noch ist das Land überwiegend eben. Die einzigen nennenswerten Erhebungen sind die weit verbreitenden Speed Bumps: hinterlistige Asphaltwälle, die sich quer über die Straße erstrecken. Meist mehrere hintereinander und wehe, man übersieht sie und fährt ungebremst drüber. Dann bleibt nichts heile. Und so passiert es dann auch. An einer Stelle, an der mit so was nicht unbedingt zu rechnen war, erkennt Mathias sie zu spät und dem plötzlichen Abbremsen aus voller Fahrt kann Petra nicht mehr ausweichen und landet sehr unsanft auf dem Asphalt. Doch alles geht gut aus. Außer ein paar Schrammen und Prellungen bleibt an Rad und Fahrer alles heil. Und die blauen Flecken machen sich an den folgenden Tagen besonders gut auf den Fotos unserer Paparazzi. Seltsamerweise bleibt sogar der normalerweise erwartete Menschenauflauf aus. Nur ein Passant hilft beim Aufstehen und weitere fragen aus der Ferne, ob wir Hilfe brauchen. Komisch, die Inder!
Besondere Erlebnisse sind Bahnübergänge. Nach Schliessen der Schranken werden die Gleise weiter munter von Fußgängern und Zweiradfahrern passiert, evtl. hebt man dazu die Schranken kurz an oder kriecht einfach durch. Nur die Autos sitzen fest. Doch wenn sie könnten, gebe es auch für sie kein Halten. Zum Glück kündigt sich der herannahende Zug dann extra noch mit Pfeifsignalen an. Wir beobachten das Schauspiel immer aus der Ferne, denn auch nach Passieren des Zuges dauert es noch eine Ewigkeit, ehe sich die Knäule auf beiden Seiten entwirrt haben und es wieder geordneter zugeht.
Einmal schließt die Schranke jedoch direkt vor unserer Nase und wir stehen ganz vorn in der Poleposition und ziehen sofort die Neugier der Wartenden auf uns. Nach einer Weile jedoch hebt man extra für uns die Barriere und wundert sich über unser Zögern. Wir können eben unsere gute Erziehung nicht so einfach austricksen. Doch nach einigem guten Zureden wechseln auch wir überstürzt auf die andere Seite. Aber sagt es bitte nicht weiter!
Nun kommen wir nach Wochen auch mal wieder in etwas bergigere Regionen. Die Anstiege sind nicht sehr steil, aber die Laster und Busse quälen sich mächtig, die sind einfach nicht für solche Anforderungen geschaffen und können einem fast leidtun.
Die 2-Millionen-Stadt Indore streifen wir nur am südlichen Rand. Ungewohnt viele Neubauten zwischen der sonst indientypischen Architektur und was auffällt, nicht eine Kuh auf der Straße, nicht eine einzige. Auch sind die Leute hier total verhalten und gucken nur mal kurz. Das ist uns nun aber auch komisch.
Dann kommen wir endlich mal an einem richtigen Selbstbedienungsladen vorbei. Danach sehnen wir uns schon seit Wochen. Viel gibt es allerdings nicht zu erwerben, aber dieses Einkaufsfeeling hat schon was nach so langer Entbehrung.
Wir suchen uns am Stadtrand eine Unterkunft und landen mitten in einem Neubaugebiet. "Silicon City" nennt es sich, doch ganz so schick ist es nun auch wieder nicht, manche der Häuser wirken trotzdem sie höchsten ein paar Jahre alt sind, total schmuddelig und runtergewirtschaftet. Da kommt eben unser deutscher Ordnungssinn einfach nicht mit. Doch auch wenn man Indien noch lange nicht verleugnen kann, hoffen wir, dass nun die lange Durststrecke durch Nordindien langsam zu Ende geht und wir auf der Reise auch mal etwas entspanntere Momente haben werden.
Vor zehn Tagen schon haben wir die ehemalige Fürstenstadt Orchha verlassen und nach weiteren fast 800 km erreichen wir nun unser nächstes größere indische Ziel - die Ruinenstadt Mandu. Schon vor dem Ort entlang der kleinen Nebenstraße stehen einige alte Gemäuer in der Landschaft. Dann geht es durch mehrere Tore und vorbei an Resten der alten Befestigungsmauer. Ein letzter Anstieg und wir sind da. Rund um die großen Hauptattraktionen einiger Touristenrummel, das lässt auf eine gute Versorgungslage hoffen. Doch zunächst ziehen wir uns an den Ortsrand in unser gebuchtes Hotel zurück. Erst am folgenden Tag machen wir uns auf Entdeckungstour.
Einige hundert Jahre älter als die Fürstenpaläste in Orchha sind die in Mandu weniger gut erhalten, doch die weitläufige Anlage hat viele eindrucksvolle Besonderheiten zu bieten. Am Auffälligsten sind die unzähligen kunstvoll angelegten Zisternen, die den Bewohnern an heißen Tagen Rückzugsmöglichkeiten zum Entspannen boten. Man kann sich richtig vorstellen, wie hier die Damen des Hauses mit den Beinen im Wasser plätscherten und sich kühle Drinks servieren ließen, während der Herrscher auf seinem Elefanten vorbei geritten kam oder in den zahlreichen Säulengängen wichtige Amtsgeschäfte geregelt wurden.
Die volle ehemalige Pracht der Anlage wird man vielleicht erst während der Monsunzeit erkennen können, wenn die künstlich angelegten Seen mit Wasser gefüllt sind. Da Mandu etwas abseits der üblichen Hauptreiserouten liegt, geht es eigentlich recht beschaulich zu, dennoch fühlen wir uns hin und wieder auch an Disneyland erinnert. Setzen wir uns auf eine Bank, kommen schon mal aus allen Richtungen die Besucher herzu und dann beginnt ein eifriges Geknipse, als wären wir Micky Maus und nur dazu hier, die Besucher zu unterhalten. Was wollen die nur mit diesen Fotos ...!?
Mittendrin in dem kleinen Ort gibt es auch noch eine kleine Anzahl Mausoleen mit ihren typischen Zwiebelhauben und weitere verstreute Ruinen. Doch der Ort bietet für uns noch ein Highlight. Wir können es zunächst nicht fassen, als sich am Ortsrand eine kleine unscheinbare aber vergitterte Baracke, als Alkoholladen entpuppt, der schön gekühltes Kingsfisher Bier im Angebot hat. Ein absolutes Novum im ansonsten größtenteils alkoholfreien Indien.
Wir versuchen es nach der langen, langen Abstinenzzeit (das letzte Tröpfchen konnten wir Neujahr, vor etwa 1 1/2 Monaten in Nepal genießen) vorsichtshalber zunächst mit der Lightversion und ziehen uns mit unserer Eroberung an einen Aussichtspunkt zurück, um dort den Tag ausklingen zu lassen. Dass der erwartete Sonnenuntergang aufgrund einiger Wolken weniger spektakulär verläuft, kann unser Glück nicht trüben. Zudem nimmt hier niemand Notiz von uns und wir können ungestört und in aller Ruhe herumsitzen. Langsam beginnt uns Indien zu gefallen.
Mandu liegt in 600 m Höhe auf einem Plateau des für indische Verhältnisse recht waldreichen Vindhyagebirges, das nach Süden hin sehr eindrucksvoll steil abfällt. Dieser Umstand bescherrt uns auf der Weiterfahrt zunächst eine schöne lange Abfahrt wieder hinunter ins allerdings weniger schöne Tiefland.
In einem kleinen Dorf unterwegs findet mal wieder ein religiöses Fest statt. Mädchen laufen in einer Reihe in ein Festzelt und tragen auf ihren Köpfen Kokosnüsse. Petra zieht los, um ein paar Fotos zu machen - was die Inder können, können wir nämlich auch, dachten wir - doch schon steht stattdessen sie im Mittelpunkt. Sie bekommt einen roten Punkt auf die Stirn und steht nun selber wieder mal im Blitzlichtgewitter. Es herrscht Gedränge, denn jeder will mit auf das Bild. Währenddessen hat man auch Mathi samt Räder ebenfalls herbeigeholt. Wir bringen den ganzen Festablauf durcheinander und müssen auf die kleine Bühne, um das Woher und Wohin zu klären. Nach weiteren Selfies werden wir dann aber freundlich wieder auf die Straße entlassen.
Etwa 600 km sind es nun bis Mumbai und die bewältigen wir auf der bestens ausgebauten Nationalstraße NH 3. Wir können zwar ungestört radeln, Spaß macht es aber keinen. Zum einen hat man immer den Lärm des Verkehrs um sich und langweilig ist es auch noch. Man kann nicht viel mehr machen als Treten und Kilometer zählen. Für uns von Vorteil ist, dass man auf mehrspurigen Straßen bevorzugt die innere Spur benutzt und zum Überholen die äußere, sodass wir meist einen angenehmen Abstand zum Verkehr haben. Auf dem Seitenstreifen ist dennoch Vorsicht geboten, denn dieser wird ganz selbstverständlich auch mal von Fahrzeugen in der Gegenrichtung benutzt, das sieht man hier nicht so verbissen. Warum erst umständlich auf die andere Seite wechseln, wenn man bloss mal schnell in den Nachbarort will!? Ja, und reichlich Tierleben gibt es natürlich auch auf der Fahrbahn. Die Kühe kann man echt bewundern, die lassen sich durch nichts aus der Ruhe bringen und setzen immer stur ihren Willen durch.
Einen Tag später verlassen wir den zentralindischen Bundesstaat Madhya Pradesh und fahren hinein in den nächsten, nach Maharashtra. Und offensichtlich erreichen wir nun einen allmählich anderen Kulturkreis. Nashik ist, nach Indore, die zweite Stadt mit einem deutlich moderneren Flair.
Und abermals wird uns eine Speed Bump zum Verhängnis. Ein lauter Knall kündet Unheil an. Mathi fängt sich im Hinterreifen einen kapitalen Eisenstift ein. Ein Glück, dass das dicke Ding nicht den Reifen total zerstört hat. Der Schlauch ist jedoch, trotz Reparaturversuch mit zwei Flicken, hinüber. Reifenreparatur mitten in einer indischen Großstadt sollte eigentlich fast ein Horrorszenario darstellen, doch die wenigen Gaffer fanden das nach kurzer Zeit schon langweilig und verschwanden wieder.
Nach diesem Missgeschick findet sich kurz darauf ein modernes "Non Veg"-Restaurant zum Essen. Es gibt sie also doch. Meist wird schon von außen gut sichtbar darauf hingewiesen, ob es Fleisch auf der Speisekarte gibt, oder nicht. Nicht selten befinden sich zwei Restaurants: „Non Veg“ und „Pure Veg“ zwar in einem Haus, aber schön voneinander abgetrennt. Das Chicken-Gericht ist lecker und es gibt sogar Bier. Nein, es wird offensichtlich, für ein Leben als Vegetarier sind wir definitiv nicht geschaffen.
Vielleicht liegt es an der Region, vielleicht auch an unserer Einstellung, aber wir werden etwas gelassener und fühlen uns vom indischen Radelalltag nicht mehr ganz so gestresst. Inzwischen haben wir auch unseren Mut zum Wildzelten wieder entdeckt und es finden sich tatsächlich wieder häufiger schöne abgeschiedene Plätzchen, an denen wir am Nachmittag entspannen und ungestört die Nacht verbringen können.
Wir hören auf, dabei ständig gehetzt um uns zu schauen, ob von irgendwoher Unbill naht, und müssen stattdessen erstaunt erleben, als eines Morgens sich eine Schar Frauen unserem Platz nähert, diese bei unserem Anblick laut schnatternd zurückrennen und wenig später in einem großen Bogen ihren Weg an uns vorbei fortsetzen.
Schon im voraus suchen wir auf Karte und Satellitenbildern im Internet nach Stellen, die sich anbieten könnten. Gut geeignet sind Naturschutzparks oder Wälder. Beide sind frei von irgendwelchen Ansiedlungen. Wälder hier sind sehr lichte Angelegenheiten, die Bäume sind zu dieser Jahreszeit recht kahl und der Boden ist von vertrockneten Laub bedeckt. Manche der Blätter sind riesig und haben Ausmaße von Fahrradreifen.
Inder scheinen es nicht zu mögen, durch Wälder zu ziehen. Feuerholz wird nur in der Nähe der Häuser gesammelt und somit sind Waldgebiete für sie uninteressant. Zudem ist ein Inder bei Dunkelheit ungern auf abgelegenen Wegen unterwegs. Und wenn doch mal, haben wir beobachtet, dass sie dann laut rufen und in die Hände klatschen. Wen oder was sie damit vertreiben wollen, möchten wir gar nicht wissen. Vielleicht ja uns? Außer Affen, Vögeln, wilden Hunden und natürlich Kühen bzw. Wasserbüffeln bekommen wir nichts Spektakuläres zu sehen.
Somit wird das Wildzelten schon fast wieder zur Gewohnheit und wir verzichten dabei auch mal freiwillig auf die Nutzung einer nahen Unterkunftsmöglichkeit, auch wenn wir dabei nicht immer dem nahen Straßenlärm entkommen können. Doch auch in den wenigsten Hotels geht es selten ruhig zu.
Allerdings, die gewohnte abendliche Dusche vermissen wir schon etwas. Denn bei all der Radelei haben wir eines fast übersehen. So ganz nebenbei ist es hier Sommer geworden. Jeden Tag stieg die Sonne und die Temperatur ein kleines Stück höher und wir waren immer mehr gezwungen, wieder an den Hautschutz zu denken. Inzwischen werden es jeden Tag mindestens 35 Grad, wir haben also die Tropen erreicht. Trotzdem lässt es sich hier gut aushalten, da es ja immer noch sehr trocken ist. Von Regen ist weit und breit nichts in Sicht. Zudem bietet das meist ebene Terrain sich an, um Tempo zu machen und dabei sorgt der Fahrtwind für angenehme Abkühlung.
Eine landschaftliche Abwechslung bietet die Kasara Ghat, eine 10 km lange Abfahrt von der Gebirgskette der Western Ghats hinunter ins Küstentiefland. Eine Strapaze für die Laster, egal ob hoch oder runter, für uns ein ungewohnter Geschwindigkeitsrausch.
Nun wird es langsam Ernst. Wir nähern uns Mumbai. Auf dem Highway ist die Zunahme des Verkehrs schon deutlich zu bemerken. Nicht nur mehr Lkw, besonders private Pkw tummeln sich jetzt in Massen neben uns.
Autobahnraststellen gibt es jetzt wie an einer Perlenschnur in regelmäßigen Abständen. Mal einfach und typisch indisch und mal moderner mit klimatisierten Räumen. Immer größer werdente Werbetafeln säumen den Straßenrand. An einer Brücke sitzen Möwen auf dem Geländer, das Meer scheint nahe zu sein. Doch zunächst erblicken wir erst mal nur jede Menge graue Wolkenkratzer.
Bevor wir uns jedoch hinein nach Mumbai trauen, machen wir einen letzten Zwischenstopp in dem Vorort Thane. Ganz in der Nähe unseres Hotels finden wir in einer großen Mall sogar einen Supermarkt. Mensch, das erste Mal seit fast drei Monaten wieder richtig einkaufen. Wir sind total aufgeregt und wissen vor Schreck, gar nicht, was wir eigentlich kaufen wollen. Auch wenn der Laden nicht wirklich das Riesenangebot hatte, verlassen wir ihn selig mit vollen Beuteln.
Gespannt machen wir uns auf die letzten 40 Kilometer hinein ins Herz Mumbais. Auf dem Eastern Expressway sind auch Radler geduldet und so schwimmen wir in der morgendlichen Rushhour hinein ins Zentrum. Es rollt besser als befürchtet. Natürlich staut es sich an einigen Kreuzungspunkten mal richtig heftig, löst sich aber dank der gekonnten Huptechnik der Inder bald wieder auf. Auch Ampeln und pfeifende Polizisten helfen, das Chaos zu regeln. Meist lassen die Autos ganz links eine schmale Gasse für die Mopeds (und uns) und wir haben fast das Gefühl, dass wir schneller vorwärtskommen, als die vierrädrigen.
Wir nähern uns immer mehr dem Zentrum, einladend wirkt erst mal noch nichts. Alles wie gewohnt indisch. Hier und da Dreckecken und viele marode Häuser. Im Hintergrund ebenso trist aussehende Wolkenkratzer.
Unser Hotel befindet sich in einem moslimisch geprägten Wohnviertel mit engen Straßen. Unser Zimmer liegt in der 6. Etage und man hat einen "schönen" Blick über die Stadt. Es gibt einen Fahrstuhl, mit dem auch die Räder, nachdem Mathi die Lenker umgeschraubt hat, hinaufgebracht werden können.
Wir richten uns für ein paar Tage ein und sind schon gespannt, was uns die größte Stadt Indiens zu bieten hat. Wir rechnen fest damit auch mal ein ganz anderes Gesicht des Landes zu sehen zu bekommen, als das bisher erlebte. Wir werden davon berichten.