21. Februar - 17. März 2018
Mumbai - Goa
Geradelte Strecke: 686 km (Insgesamt 4052 km)
Welcher Name klingt nun besser: Bombay - der Alte oder Mumbai - der Neue? Jedenfalls sind beide allgegenwärtig und scheinbar gleichzeitig in Gebrauch. Also eine Stadt mit zwei Namen. Doch egal welchen man hört, man denkt dabei unwillkürlich an Bollywood und Slums. Um es vorwegzunehmen: Beides haben wir nicht gefunden - haben aber auch nicht wirklich danach gesucht.
Drei Tage verbringen wir in der Stadt und finden die Zeit als völlig ausreichend. Unser Hotel steht in einem typisch indischen Marktviertel. Ganz bestimmt ein Kulturschock für einen eben eingeflogenen europäischen Touristen. Für uns jedoch nun schon seit einigen Wochen Reisealltag und so können wir über so manche Kritik auf den Onlinebuchungsportalen für Hotels nur müde lächeln. Immerhin ist unser kleines Zimmer im 6. Stock einigermaßen sauber und ordentlich und das wir sogar inmitten dieser dicht besiedelten, riesigen Metropole einen Platz mit einigermaßen Ruhe gefunden haben, gleicht einem Wunder. Das Gehupe aus der engen Gasse weit unten schallt etwas gedämpft zu uns hinauf und die Nacht über und am Morgen ist es sogar fast gespenstig ruhig. Schlafen bei offenem Fenster kein Problem, wer hätte das hier erwartet.
Wir haben einen weiten Blick über die Dächer der Stadt. Schön ist er nicht. Alles wirkt grau und trist. Die Häuser stehen dicht gedrängt. Viele sehen irgendwie provisorisch aus, sind mit Wellblech gedeckt und haben individuell angeordnete Fenster. Auch die neueren Hochhäuser hier und da wirken, als wären sie noch nicht ganz fertig und dennoch schon marode. Nur in der Ferne, am Stadtrand, kann man ein paar modernere Häuser erahnen.
Wenn man seinen Blick in die Tiefe lenkt, wird man unweigerlich auf die hiesige Müllproblematik aufmerksam. Doch vielleicht ist es ja auch nur für uns ein Problem, denn für viele Anwohner scheint es das natürlichste der Welt, einfach den Abfall durch das Fenster auf darunterliegende Dächer zu entsorgen. Ein Wunder, dass keine Müllberge die Sicht in den unteren Etagen verdecken. Offensichtlich scheint es doch ein paar zuständige Geister zu geben, die sich von Zeit zu Zeit der weiteren Entsorgung annehmen.
Die größeren und kleineren Straßen in der Umgebung sind proppenvoll mit Läden, Verkaufsbuden und fliegenden Händlern. Wer soll das nur alles konsumieren? Eifrig wird mit übervoll beladenen Pritschenwagen per Menschenkraft Weiteres angekarrt. Motorisierte Lieferfahrzeuge haben hier keine Chance. Viele Moscheen prägen dieses Stadtviertel. Die Leute sind freundlich und entspannt. Keiner nervt und man posiert gern für Fotos - daran sollten wir uns mal ein Beispiel nehmen.
Wir halten natürlich intensiv Ausschau nach dem Angebot für Essbares und werden etwas enttäuscht. Nein, nein, zum Essen gibt es jede Menge, aber einen erhofften gut sortierten Lebensmittelladen suchen wir vergeblich. Also halten wir uns, wie gewohnt, zunächst an das verfügbare Straßenangebot und entdecken unsere Liebe für frisch gepressten Zuckerrohrsaft - hm, lecker. Ein kleines einfaches "Restaurant" in unmittelbarer Nähe unserer Unterkunft, dessen hier übliches Schmuddelambiente uns nicht abschrecken kann, bietet eine gute und geschmackvolle Auswahl und wir werden in den nächsten Tagen zu bekannten Stammgästen.
Ein erster Erkundungstrip führt uns natürlich zum "Gateway of India" dem Wahrzeichen der Stadt - das Eingangstor zu Indien. Nachdem das Gedränge auf den überfüllten Straßen unseres Viertels, in denen das Fortkommen einem Hindernislauf gleicht, hinter uns liegt, wird es deutlich angenehmer. Der Charakter der anliegenden Stadtteile ist ein ganz anderer. Die Häuser stehen nicht mehr so eng. Es gibt sogar ein paar kleine Parkanlagen. Hier sind noch viele Spuren der ehemaligen englischen Besatzer zu spüren. Es geht vorbei an vielen prachtvollen Kolonialbauten, auf richtigen Fußwegen und entlang breiter Straßen.
Der Platz um das berühmte Tor ist weiträumig abgesperrt und man muss sogar Sicherheitskontrollen passieren. Auf der Suche nach der besten Fotostelle besichtigen wir das Tor von allen Seiten. Auch das in unmittelbarer Nähe befindliche "Taj Mahal" - Luxushotel erhält unsere Aufmerksamkeit. Allein sind wir natürlich nicht, viele tun es uns gleich und auch einige nicht indisch aussehende Touristen unter ihnen.
Dieses Besichtigungsprogramm vor Ort ist recht schnell erledigt und so widmen wir uns nahtlos dem nächsten Vorhaben. Vom Kai hier starten nämlich auch einige Fährschiffe, unter anderem auch jene, die uns bei der Weiterfahrt in ein paar Tagen von der Halbinsel, auf der Mumbai liegt, über die Bucht Richtung Süden nach Mandawa bringen soll. Eine prima Möglichkeit für uns, um schnell und ohne weiteren Verkehrsstress aus der Stadt wieder herauszukommen. Ein paar Informationen haben wir schon aus dem Internet, sind uns aber noch etwa unsicher, wie das laufen soll. Zumal es sich hierbei um reine Personenfähren handelt und der Fahrradtransport nicht so wirklich vorgesehen ist. Fähren fahren einige, doch alles wirkt etwas provisorisch. Keine Hinweisschilder oder dergleichen. Wohin die jeweiligen Boote fahren, erfährt man erst auf Nachfrage.
Wie wir so das Geschehen beobachten, erscheint doch tatsächlich ein Gepäckradler auf dem Platz, den wir auch sogleich ansprechen und uns als "Kollegen" outen. Tino aus Düsseldorf ist erst vor zwei Tagen aus dem kalten Deutschland eingeflogen. Einen Monat Urlaub in Südindien steht ihm bevor und jetzt will er möglichst schnell aus dem Großstadtmoloch hinaus, um entlang der Küste Richtung Goa zu radeln. Also genau das, was wir in den nächsten Wochen auch vorhaben. Nach etwas Radfahrersimpelei verfolgen wir dann, wie er das an Bord Gehen meistert, und haben nun schon mal eine Vorahnung, wie es läuft. Die Fahrradmitnahme scheint also kein Problem zu sein. Nur die steile Treppe hinunter zum Boot macht uns etwas Sorgen.
Doch bis zu unserer Abfahrt ist noch drei Tage Zeit. Inzwischen ist die Haji Ali Moschee ein weiteres Sightseeingziel. Wir haben keinen Bock auf einen über 1-stündigen Marsch durch die lauten und in der Hitze dampfenden Straßen und machen mal was total Untypisches für uns - wir fahren mit dem Taxi. Dazu haben wir uns extra auf der in Deutschland umstrittenen aber weltweit verbreiteten Taxiplattform Uber angemeldet und bestellen einen Wagen.
Alles klappt wie geschmiert. Der Gerufenen rollt - soweit man das in dem Wahnsinnsverkehr so nennen kann, schon nach erstaunlich wenigen Minuten an. Dass man sich so mühelos in dem allgegenwärtigen Tumult auch wirklich findet, ist echt erstaunlich. Kein zähes Verhandeln mit dem Fahrer, von dem in so vielen Reiseberichten die Rede ist. Einfach Einsteigen und am Ziel, das im Handy Angezeigte bezahlen. Können wir nur weiter empfehlen. Wie das Meiste in Indien ist auch Taxi fahren preiswert. 1,30 € für eine halbstündige Fahrt absolut erschwinglich.
Die Haji Ali Moschee ist 400 Meter weit draußen auf einer kleinen Insel vor der Küste errichtet und über einen Damm zu Fuß erreichbar. In einem dichten Strom von Indern laufen wir hinüber. Auf der einen Seite des Weges reiht sich ein Krimskrams-Händler an den anderen und auf der anderen hocken unzählige Bettler. Dabei wird uns bewusst, dass wir diese im Rest der Stadt noch nicht so präsent erlebt haben und eigentlich auch im übrigen Land nicht. Natürlich gibt es sie, doch haben wir sie in Indien eigentlich viel massiver erwartet. Nach unserem Erleben kann man, was das betrifft, Indien durchaus mit anderen von uns besuchten armen Ländern gleichsetzen.
Der kleine Tempel und die Anlage sind ganz nett, aber viel gibt es nicht wirklich zu sehen. Alle machen wie verrückt Fotos, natürlich auch von uns. Ein paar baden in der dunkelbraunen Brühe des Meeres. Viel angeschwemmter Müll säumt das Ufer. In der Ferne eine Skyline der Stadt mit Wolkenkratzern. Hier stehen zwischen den tristen und grauen auch mal ein paar hübschere Glaspaläste herum.
Die restliche Zeit in der Stadt verbringen wir mit faulenzen. Wir futtern, was zu bekommen ist, wissen wir doch noch nicht, was uns diesbezüglich außerhalb der Stadt wieder erwarten wird. Etwas enttäuscht sind wir aber schon, dass sich trotz Suchens keine wirklich richtigen Supermärkte haben finden lassen. Es wird sie ganz sicher geben, aber wahrscheinlich nur in den nobleren Wohngebieten und in die sind wir nicht vorgedrungen.
Nach unserer heldenhaften Eroberung Mumbais machen wir uns nun an den geordneten Rückzug. An einem Samstagmorgen radeln wir in aller Herrgottsfrühe - noch vor 9:00 Uhr - zur etwa 5 km entfernten Fähre. Unser Plan geht zunächst auf. Die Inder schlafen noch und auf den Straßen herrscht fast himmlische Ruhe. Doch am Gateway angelangt, stellen wir fest, es gibt doch ein paar Frühaufsteher und die befinden sich scheinbar alle hier.
Ohne Behinderungen können wir die Räder an den Sicherheitskontrollen vorbei schieben. Aus dem erhofften schönen Erinnerungsfoto mit den Rädern vor dem Triumphbogen wird aber leider nichts. Auf dem Platz davor ist alles mit Stuhlreihen vollgestellt und abgesperrt - dann eben nicht.
Besorgt betrachten wir dann die endlos langen Schlangen auf dem Platz, die sich an der Anlegestelle gebildet haben. War vielleicht doch keine so gute Idee, die Abreise auf einen Sonnabend zu legen. Wir wissen zwar nicht, wie es an den anderen Vormittagen in der Woche hier ist - bei unserem ersten Besuch hier, war es schon Nachmittag und viel weniger los - doch ist es gut möglich, dass einige Mumbaianer das Wochenende nutzen, um mal aus der Stadt herauszukommen und zu den Stränden im Süden zu tuckern. Und dafür ist die Fähre natürlich eine gute Möglichkeit.
Da wir nun aber schon mal da sind, stellen wir uns eben an. Doch die Boote haben sich dem Andrang angepasst und legen etwa im 10-Minuten-Takt ab und so geht es widererwarten recht zügig und erstaunlicherweise auch sehr entspannt zu. Alle stehen brav an, kein Gedrängel, auch nicht, als wir unsere Räder hinzuholen. Dann geht alles sehr schnell, Tickets gekauft und mit den Rädern die steile Treppe hinunter zum Boot. Ein paar Hände packen mit an und schon sind wir auf dem Kahn.
Der Fahrpreis beträgt 120 Rupien (1,50 €) / Person. Für die Räder knöpft man uns auf dem Boot noch mal 150 Rupien pro Rad unter der Hand ab. O. k., was soll es - hier wollen eben viele Hände mitverdienen und so ist man wenigste motiviert, uns gut rüber zu bringen. Unmittelbar darauf legt das Schiff ab. Auch an Bord ist alles geordnet, jeder hat einen Sitzplatz, verteilt auf 2 Decks. Augenscheinlich sind es nur indische Passagiere. Wir bekommen Plätze im hinteren Mannschaftsbereich. Neben uns wird während der Überfahrt schon mal das Mittagessen der Crew vorbereitet.
Schnell noch ein paar letzte Fotos von Mumbai und die Stadt verschwindet aus unserem Blick. Eine reichliche Stunde schaukeln wir auf dem uralten Seelenverkäufer über das trübe Wasser. Dass das Holzschiff noch nicht auseinandergefallen ist, ist wohl ein Wunder, aber lange dauert es bestimmt nicht mehr.
Wir kommen jedoch heil an. Die anderen Passagiere verteilen sich auf Taxis und Busse und wir schwingen uns auf die Räder. Die schmale Straße ist mal besser und mal schlechter und der Verkehr ist zunächst auch nicht wenig. Wir hatten uns die etwas abgelegene Ecke ruhiger erhofft.
Wenigstens ist hier die touristische Infrastruktur so gut ausgebaut, wie wir sie noch nie in dem Land erlebt haben. Überall Werbetafeln für Unterkünfte und Essen und Wegweiser zu Stränden. Wir bekommen ein schmackhaftes Mittagessen und für die darauffolgende Verdauungspause im Schatten sogar ein kühles Bierchen.
Es hatte sich ja schon auf unserem Weg nördlich kurz vor Mumbai bemerkbar gemacht. Irgendwo dort haben wir eine unsichtbare Grenze überschritten und scheinen nun in einem Land mit einer ganz anderen Bevölkerung unterwegs zu sein. Natürlich wird uns noch staunend hinterhergeguckt, doch es gibt keine Menschenaufläufe mehr, wenn wir irgendwo anhalten. Keine neugierigen Blicke verfolgen uns beim Einkaufen, niemand beobachtet uns beim Essen. Nur selten werden wir noch während der Fahrt belagert und genervt. Wir fühlen uns gleich viel wohler in dem Land. Das zuvor Erlebte kommt uns mit etwas Abstand immer unwirklicher vor. So können wir in aller Ruhe unsere Pausen machen und uns am Abend vorm Zelt entspannen. Entdeckt man uns doch, werden wir nur aus der Ferne gemustert und dann geht man meist grußlos weiter.
Ja mit Höflichkeiten verschwendet ein Inder nicht die Zeit. Nicht dass er es böse meint, nein, Grüßen, Danken und Ähnliches ist eben einfach nicht üblich. Da muss man sich erst dran gewöhnen, den durch unsere Erziehung ist dergleichen so zur Gewohnheit geworden, dass man das Angelernte nicht so einfach abstellen kann. Allerdings ist dieses Verhalten der Inder auch etwas Besonderes, denn auf unseren Reisen bisher haben wir derlei noch nie so erlebt. Bisher sind wir mit unseren extra gelernten Höflichkeitsvokabeln in der jeweiligen Landessprache immer gut angekommen, hier war das umsonst. Aber das kann ja keiner ahnen.
Den ersten Abend auf unserer Fahrt entlang der Küste verbringen wir auf einem traumhaften Platz direkt am Abbruch eines Steilufers über dem Meer. Für so einen Logenplatz lohnt es sich schon, mal einen etwas mühseligen Weg durch die Büsche in Kauf zu nehmen. Genau so haben wir es uns hier vorgestellt. Die Sonne verschwindet zwar nicht im Meer, sondern hinter einer Dunstwolke über dem Ozean, aber schön ist es trotzdem.
Vor uns liegen nun mehr als 500 km entlang der Küste nach Süden. Der kleine Bundesstaat Goa ist unser nächstes großes Ziel. So nach und nach wird es wieder weniger touristisch, wir verlassen wahrscheinlich nun das Erholungsgebiet vom nahen Mumbai. Der Verkehr verringert sich auf ein nun viel angenehmeres Maß, doch auch die Versorgung lässt leider wieder nach. Die Einkehrmöglichkeiten werden seltener und deren Angebot ist nicht sehr erquicklich. Als nach den Zeltübernachtungen mal wieder eine Dusche und somit eine feste Unterkunft fällig ist, haben wir Mühe etwas Passendes zu finden.
Die Häuser in den Orten machen auch in den ländlichen Bereichen einen viel solideren und moderneren Eindruck, als wir es aus dem Norden gewohnt sind. Zeitweise fahren wir nahe am Meer und dann wieder etwas weiter entfernt. Mal Felder und mal Brachflächen neben der Straße, mal Buschwerk oder Palmen.
Insgesamt 5 weitere Fährüberfahrten in den ersten 4 Tagen ermöglichen uns das Überwinden von Buchten, deren Umfahrung uns sonst viele zusätzliche Kilometer bescherren würde. Die Kosten dafür belaufen sich jeweils auf weniger als 1 € für uns beide samt Räder. Die kleinen Autofähren scheinen sehr häufig zu fahren, denn nie müssen wir längere Zeit warten. - Oder hatten wir einfach nur Glück und waren immer im richtigen Moment da? Laster und Busse können nicht mit. Dadurch bleiben wir hier auch weitgehend auf der Straße vor ihnen verschont.
Die Landschaft zeigt sich immer im gleichen Rhythmus, aus Flusstälern strampeln wir steile Berge hinauf auf steinige und trockene Hochebenen, fahren hier ein paar Kilometer relativ eben und rollen dann hinunter ins nächste Flusstal. So geht das immer weiter und wir haben den Eindruck, mit jedem Tag werden die Anstiege häufiger und steiler. Schnell vorwärts kommen wir dadurch nicht und müssen einsehen, dass wir bis Goa doch etwas mehr Zeit brauchen werden, als zuvor gedacht.
Die Hochflächen bestehen aus extrem steinigem Boden. Oft ist jede Erde verschwunden, der blanke Fels kommt zutage und Landwirtschaft ist nur sehr eingeschränkt möglich. Die Straßengräben sind dann in den massiven Stein gepickert. In den Tälern hingegen herrscht meist dichter Bewuchs und hohe Palmen ragen auf. Hier befinden sich dann auch die kleinen und größeren Orte.
Das Holifest steht vor der Tür. Anders, als die weltweit verbreiteten kommerziellen Farbfestivals, ist das hinduistische Frühlingsfest in Indien, eines der ältesten und traditionellsten religiösen Feste des Landes und erstreckt sich über mehrere Tage. Es soll den Frühlingsanfang und den Sieg des Guten über das Böse symbolisieren. Alles wird bunt und damit sollen gesellschaftliche Unterschiede aufgehoben werden - zumindest symbolisch.
In der Region, in der wir uns zurzeit befinden, gestaltet sich das Fest allerdings nicht so farbenfroh. Dennoch ist es überall spürbar. In den Orten herrscht Feststimmung. Prozessionen tragen, in kleinen verhüllten Altären, Götter durch die Straßen, halten vor den Häusern an, wo meist Frauen mit kleinen Schalen warten, in denen Kerzen brennen, um dann die Heiligen zu huldigen. All das geschieht mit viel Getrommel und Trompetenschall. Dann werden die Götter auf kleine Laster verladen und in den nächsten Ort gebracht und vom anderen Straßenende nahen schon die nächsten. Nicht selten sind gleich mehrere Prozessionen in einer Straße unterwegs. Oft schallen das Getrommel, die Musik und der eine oder andere Böller durch die Vollmondnächte bis zu unseren abgelegenen Zeltplätzen.
So endet der Februar und der März beginnt. Aus Deutschland wird ein verspäteter Wintereinbruch mit frostigen Temperaturen vermeldet, während hier die Temperaturen selbst nachts nur wenig unter 30 °C sinken und am Tag an der 40 °C-Marke kratzen. So nahe am Meer steigt nun auch die Luftfeuchtigkeit und lässt den Schweiß an uns herabströmen. Wenigstens erfrischt ab und zu eine leichte Brise und wenn wir richtig Gas geben auch etwas Fahrtwind.
Sieben Tage sind wir nun schon unterwegs, seit wir Mumbai verlassen haben. Laut Reiseberichten müssten hier eigentlich einige Reiseradler unterwegs sein, denn die Strecke ist bei den Indienradlern sehr beliebt, doch keiner ist zu sehen. Dann plötzlich doch - am Straßenrand ein Gepäckrad - es kommt uns bekannt vor - und tatsächlich, auf der Bank im Schatten macht Tino Pause, der Radler aus Düsseldorf, den wir schon bei seinem Tourstart in Mumbai am Gateway of India getroffen hatten. Obwohl wir ihm erst drei Tage später gefolgt sind, haben wir ihn eingeholt. Während es für ihn die ersten Kilometer in einem fremden Land und dem ungewohnten Klima waren, hatten wir diese Eingewöhnungsschwierigkeiten nicht. Hinzu kommt, dass auch das Streckenprofil viel anspruchsvoller ist, als man es zuvor denken mag.
Die folgenden drei Tage radeln wir gemeinsam weiter. Da Tino keine Zeltausrüstung dabei hat, suchen wir am Abend feste Unterkünften auf und verbringen bei so manchem Bier oder dem einen oder anderem Zuckerrohrsaft am Straßenrand die Zeit mit Radlerlatein. Die am meisten von uns beiden benutzte Redewendung dabei war wahrscheinlich: "... aber oben, im Norden ...", denn das Reisen im Süden Indiens weicht schon ganz schön von dem vorherigen Erlebten ab und vermittelt einen ganz anderen Eindruck vom Land.
Das Radeln zu Dritt wird zu einem schönen und unterhaltsamen Reiseabschnitt, bringt er uns doch mal etwas Abwechslung in unseren sonstigen Radelalltag. Nach 10 Tagen anstrengendem Auf und Ab immer entlang der indischen Westküste erreichen wir den kleinsten Bundesstaat Indiens - Goa. Und unbewusst legen wir mal wieder eine Punktlandung hin, denn es ist genau der 100. Tag unserer Nepal-Indien-Tour.
Augenblicklich sind immer mehr europäisch aussehende Motorradfahrer um uns herum und das Erreichen eines Touristengebietes wird spürbar. Wir sehnen uns nach ein paar erholsamen Tagen und mieten uns gleich im ersten großen Badeort im Norden der Region ein.
Wir verabschieden uns von Tino, der seinen Weg nun ohne uns fortsetzt, und genießen die nächsten Tage am Strand von Arambol. Das haben wir uns nach nicht immer einfachen fast 4000 Kilometern auf dem Indischen Subkontinent auch echt verdient.
Arambol ist mit einer, der beliebtesten Orte an der Küste Goas. Er ist überschaubar und jetzt in der Nachsaison geht es angenehm entspannt und ruhig zu. Shops und Kneipen säumen die schmalen Straßen und bieten alles, was ein Touristenherz begehrt. Viele kleine Hotels warten hauptsächlich auf Rucksacktouristen. Unseres liegt mittendrin und dennoch nur wenige Minuten vom Strand entfernt.
Dort reihen sich die Kneipen aneinander. Am Tag locken sie mit beschirmten Liegestühlen Gäste an und am Abend werden unzählige Tische aufgestellt und mit Kerzen bestückt. Hier und da ertönt dann Livemusik. An Ständen kann man sich frisch gefangenen Fisch zum Abendbrot aussuchen und während dessen Zubereitung mit den Füßen im Sand und einem kalten Bier in der Hand den Tag ausklingen lassen. Alles sehr stimmungsvoll und relaxt. Nichts ist hier Schickimicki, keine großen und noblen Urlaubsresorts in der Nähe. Genau richtig für uns. Die Preise für das Essen sind zwar etwas höher, als im Landesdurchschnitt, doch auch qualitätsmäßig besser und auf den europäischen Gaumen abgestimmt. Dennoch kann man schon für umgerechnet etwa 5 € richtig lecker essen und satt werden.
Vom Hügel einer waldigen Landzunge hat man einen schönen Ausblick auf die Küste und kann den Gleitschirmfliegern zusehen. Wenn man zur richtigen Zeit hinauf kraxelt, lässt sich auch der Sonnenuntergang beobachten. Wir rüsten uns dazu mit ein paar gut gekühlten Flaschen im Rucksack aus und sind erstaunlicherweise fast allein da oben. Nur ein Yogi nebenan macht ausdauernd seinen Abendsport.
Wir genießen das faule Leben in vollen Zügen. Entscheiden uns jedoch nach drei Tagen für einen Ortswechsel um auch andere Strände zu begutachten. So setzen wir uns wieder auf die Räder und fahren in den Süden Goas.
Um zwischendurch auch mal etwas anderes als Sand und Meer zu sehen, machen wir einen kleinen Bogen durch das Landesinnere und fahren die kleine Stadt Old Goa an. Vor dreihundert Jahren war sie die Hauptstadt der ehemaligen portugiesischen Kolonie. Ja, der gesamte Bundesstaat Goa war nämlich nicht, wie der Rest des Landes, unter britischer Herrschaft, sondern hier hatten die Portugiesen das Sagen und diese haben deutliche Spuren hinterlassen.
Heute ist Old Goa ein kleiner ruhiger Ort, in dem es viele alte und vor allem große Kirchen, Kathedralen und Klöster gibt und auch Ruinen von weniger gut erhaltenen, einst bedeutenden Gebäuden. Ausländische Touristen und indische Pilger kommen in Scharen um die gigantischen Bauwerke und vergoldeten Altäre zu bewundern oder um zum Grab eines berühmten Missionars aus dem 16. Jahrhundert, zu pilgern, dessen sterbliche Überreste in einer Basilika aufbewahrt werden.
Wir machen einen Zwischenstopp im Ort und mischen uns unter die Besucher. Sehr angenehm ist, dass nirgendwo ein Eintrittsgeld fällig ist. Schön anzuschauen sind sie ja, die Gemäuer und erinnern uns sehr an unsere Tour im letzten Jahr in Portugal und Spanien. Aber ehrlich gesagt, wir haben schon schönere Kirchen gesehen. Allerdings hier, im von Tempeln geprägten Land, haben sie schon einen besonderen Stellenwert.
Am nächsten Tag zieht es uns aber wieder ans Meer. Leider kommen wir nicht umhin dazu viel befahrene Hauptpisten zu benutzen und besonders in den Orten wird es für uns sehr unangenehm. Zudem macht sich bemerkbar, dass man in dieser Region weniger rücksichtsvoll auf den Straßen unterwegs ist. Mehr als einmal werden wir an den Straßenrand gedrängt oder einfach geschnitten. Unsere Schutzengel haben alle Hände voll zu tun und sind sicher genauso froh, wie wir, als sich wieder die Möglichkeit ergibt, auf Nebenstraßen auszuweichen.
Nun rollen wir durch dörfliches Hinterland mit vielen Palmen und Reisfeldern und nähern uns der Hügelkette, hinter der unser Ziel liegt und die muss überwunden werden. Was nun kommt, ist der längste und steilste Anstieg seit Nepal. Mehr als 200 Höhenmeter müssen überwunden werden und das bei Wahnsinnssteigungen. Einige kleine Zwischenabfahrten sorgen zusätzlich für Psychoterror. Wir kommen mächtig ins Schnaufen und hinterlassen eine fette Schweißspur. Wenigstens ist kaum Verkehr und wir haben die Straße fast für uns.
Endlich geschafft, es geht wieder hinunter an die Küste. Eine unscheinbare Piste führt über eine kleine Brücke nach Agonda, und plötzlich sind wir im Ort. Es wirkt alles recht idyllisch, ähnelt etwas dem nördlichen Arambol und doch ist es anders.
Agonda zählt ebenfalls zu den beliebtesten Urlaubsorten Goas. Es wirkt sehr dörflich. Entlang einer schmalen Straße parallel zum Strand, reihen sich kleine Bungalowsiedlungen, Pensionen und Verkaufsbuden aneinander. Von Massentourismus ist nichts zu spüren - noch. Ein Paradies.
Die angebotenen Bungalows mit Meerblick entsprechen entweder nicht unserem Komfortanspruch oder sind nicht in unserem Budget zu haben. Auf eine einfache löchrige Holzhütte mitten in der Tageshitze haben wir keinen Bock und lange herumsuchen wollen wir auch nicht. Also ziehen wir uns daher in die zweite Reihe zurück. Wenn wir das Meer sehen wollen, können wir ja vorgehen und nachts ist eh nichts zu sehen - nur zu hören. Und das Meer kann manchmal ganz schön laut sein.
Der lange Strand bietet nichts als Sand und wird am südlichen Ende durch ein paar Felsen aufgelockert. Platz ohne Ende und anders, als in Arambol wird man hier nicht von fliegenden Händlern genervt. Allerdings, Schatten ist auch hier Mangelware. Aus Gründen des Naturschutzes dürfen nämlich keine Sonnenliegen und Ähnliches aufgestellt werden. Dennoch trauen sich ein paar anliegende Lokale mit ihnen etwas weiter hervor und stellen auch hier am Abend ein paar Tische mit Kerzen auf. Voll romantisch.
Die Restaurants bieten abwechslungsreiches Essen. Auch Alkoholisches zum Nachspülen ist, wie überall in Goa, in großer Auswahl vorhanden. Keine lärmende Musik und Partys stören unsere Nachtruhe, definitiv ein Platz zum Abschalten.
Die einzigsten Unternehmungen, die wir hier unternehmen sind: im Sand liegen, im warmen Meer planschen und die Speisekarten inspizieren - sonst nichts.
Und abermals verschieben wir nach drei Tagen unser Basislager. Nun geht es zum nur 10 km entferntem Ort Polem und somit an den südlichsten Strand von Goa. Er soll der Schönste von ganz Indien sein. Das ist aber, wie so vieles, Ansichtssache. Denn nach den Stränden zuvor, herrscht uns hier etwas zu viel Tumult. Dicht gedrängt stehen hinter dem Strandbereich, scheinbar ohne jeglichen Plan, kleine Bungalowsiedlungen für jeden Geldbeutel. Mittendrin die einfachen Hütten der Einheimischen. Und alles wird überragt von einem dichten hohen Palmenhain. Auch hier jede Menge Buden mit Touristenkram und Einkehrmöglichkeiten.
Diesmal haben wir uns jedoch in einem Apartment eingemietet. Schick - wirklich - richtig schick: recht neu und komfortabel, 2 Zimmer, Bad und Küche. Und das alles für einen Superpreis. Einen Wermutstropfen gibt es dennoch: Die Unterkunft befindet sich nicht im Strandbereich, sondern etwas ab vom Schuss, in einem kleinen Wohngebiet mit indischem Flair. Letzteres stört uns zwar weniger, aber die touristischen Annehmlichkeiten sind nur nach einem etwa 2 km langen Fußmarsch entlang einer Hautstraße zu erreichen. Na ja, man kann eben nicht alles haben.
Als wir am ersten Abend von unserem gewohnten Candle Light Dinner am Strand, den langen Heimweg antreten, passiert es: Es beginnt zu regnen - nein, es schüttet wie aus Eimern und binnen Sekunden sind wir nass bis auf die Haut. Nässer geht es nicht und so setzen wir, sehr zur Verwunderung der Anwohner, die sich unter ihren Vordächern verschanzt haben und uns ebenfalls dazu auffordern, unverdrossen unseren Weg fort, zumal der Regen sich wie eine gut temperierte Dusche anfühlt. Als es jedoch dann noch beginnt zu gewittern, sind wir doch froh unser Ziel erreicht zu haben.
Nun sagt Ihr Euch vielleicht: Na ja, Regen halt, nichts Besonderes! Aber für uns schon, denn es ist der Erste auf unserer Tour - und das nach 3 1/2 Monaten.