28. März - 2. Mai 2019
Christchurch - Hanmer Springs - Blenheim - Picton - Wellington - Auckland
Geradelte Strecke: 600 km (Insgesamt 3903 km)
Kia Ora - Welcome! So empfängt uns nun schon zum zweiten mal Neuseeland. Zehn Wochen in Australien - Urlaub vom Radlerleben, liegen hinter uns und nun sind wir wieder zurück bei den Kiwis.
Nach knapp drei Stunden Flug landen wir mitten in der Nacht auf dem Flughafen von Christchurch. Der neue Tag ist erst wenige Minuten alt, doch trotz der unmenschlichen Tages- oder eher Nachtzeit, sind die, aufgrund ihrer Strenge, sehr verrufenen neuseeländischen Zöllner und Kontrolleure hell wach und erst recht, als sie erfahren, dass wir mit einer Campingausrüstung aus dem hochgefährlichen Australien daher kommen. Wir werden unverzüglich, freundlich, aber bestimmt gebeten, der roten Spur zu folgen, die uns unübersehbar wegführt von der grünen, auf der die meisten übrigen Passagiere dem Ausgang zustreben. Ein bisschen fühlt man sich da schon diskriminiert, so öffentlich aussortiert zu werden, aber das haben wir ja geahnt und es würde uns auch nicht erstaunen, wenn um uns herum zusätzlich noch grelle Warnlichter aufblinken würden.
Man befragt uns nun detaillierter: Ja, wir waren in der Wildnis unterwegs und ja, wir waren auch auf Farmland - viel anderes gibt es ja kaum in Down Under und jeder der dies mit nein beantworten würde, war vielleicht nicht wirklich dort. Nun will man unsere Ausrüstung sehen und beschließt das Zelt genauer zu begutachten. Man bringt es zu diesem Zwecke in einen separaten Raum, wahrscheinlich einen Hochsicherheitstrakt, aus dem es für jegliches Ungemach kein Entrinnen gibt und es wundert uns beinahe, dass die betreffenden Angestellten nicht vermummt in steriler Ganzkörperbekleidung ihrer gefährlichen Arbeit nachgehen. Eigentlich hätten wir ja auch unserer Zeltunterlage besondere Aufmerksamkeit zukommen lassen wollen, denn schließlich haben wir die mühsam sauber geschrubbt, doch erscheint diese nicht von Wichtigkeit. Offenbar sind hier Zeltunerfahrene am Werk und wir lächeln milde.
Doch das vergeht uns ganz schnell, als wir mitbekommen, dass am Nachbarschalter ein weiterer Reisender, der einen großen Fahrradkarton mit sich führt und daher natürlich unsere Aufmerksamkeit erhält, gerade erfährt, dass man in seinem Zelt Ameisen gefunden hat und dieses zurückgeschickt werden muss. Ach du Schreck, uns rutscht das Herz in die Hose: Haben wir auch keines dieser Viecher am vorherigen Morgen, beim Zusammenpacken übersehen. Es hatten sich während der Tour nicht wenige Kadaver in den Winkeln und Taschenecken unserer Behausung angefunden und wir haben es gründlich bereinigt, doch hätten sich durchaus in der letzten Nacht Neuzugänge einfinden können und so manches Krabbeltier ist ja recht robust geschaffen und überlebt das Zusammenpacken eines Zeltes durchaus. Uns werden die Knie weich: Was sollen wir ohne Zelt machen? Und überhaupt: Wohin schicken die das, im Falle einer Beanstandung, bestimmt zurück ins Heimatland der gefährlichen Biester, doch wie werden wir es dann jemals wiedersehen?
Die folgenden Minuten kommen uns wie eine Ewigkeit vor. Doch dann Erleichterung: Der Kontrolleur kommt mit unserem notdürftig in eine große Tüte gestopften Zelt zurück: Alles in Ordnung! Puh, da haben wir aber Glück gehabt, das hätte auch anders ausgehen können. Schnell schieben wir unseren Gepäckberg Richtung Ausgang, ehe denen noch was anderes einfällt, denn schließlich fühlen sich solch ungebetene Gäste auch in anderen Teilen der Ausrüstung wohl. Bissel verstehen kann man ja diese Vorsicht, wir hätten zum Beispiel auch nur ungern eine dermaßen entsetzliche Fliegenplage an der Elbe, wie wir sie im Großteil des australischen Kontinents erlitten haben und hoffen auch weiterhin, dass nicht eines dieser Geschöpfe den bisherigen Transfer überlebt hat. Liebe Tierschützer und Gläubige des Buddhismus, bitte verzeiht diese Gedanken, aber wenn ihr diesen Nervenkrieg wochenlang ertragen hättet, würdet ihr bestimmt genauso denken.
Den Rest der Nacht verbringen wir auf dem Flughafen. Im Gegensatz zu seinem riesigen Bruder drüben in Sydney, geht es hier sehr beschaulich zu. Wir sind mit einem der letzten ankommenden Flieger in der Nacht eingetroffen und danach versinkt das Gebäude vorübergehend in Dornröschenschlaf und mit ihm die gestrandeten Passagiere, die sich, verstreut herumliegend, notdürftige Lager eingerichtet haben und vor sich hin dämmern, bis im Morgengrauen der Flugverkehr und die übliche Geschäftigkeit wieder beginnen. Wir haben schon ungemütlichere Nächte auf Flughäfen verbracht.
Bei Tagesanbruch werden wir von Gary, unserem Warmshower-Gastgeber und dem Beherberger unserer Räder abgeholt. Es ist nun schon ein Wiedersehen mit guten Freunden und wir verbringen die folgenden zwei Tage abermals in seinem kleinen Farmhaus außerhalb der Stadt, genießen das leckere von Vicki gemachte Essen und haben angenehme und interessante Stunden mit den Beiden. Gary und Vicki sind einfach großartige Gastgeber und der erneute Abschied fällt schwer.
Die Fahrräder erfordern nun aber wieder eindringlich unsere Aufmerksamkeit, denn sie scharren vor lauter Wiedersehensfreude schon ungeduldig mit den Rädern und können es kaum erwarten wieder loszurollen. Eingerostet, so wie wir, sind die zum Glück nicht, nur etwas verstaubt und mit Spinnweben behangen (was wir hingegen nun wiederum nicht sind). Zugenommen haben sie während ihres ruhigen Landaufenthaltes scheinbar nicht, während wir wahrscheinlich gefühlt 10 kg mehr auf die Waage bringen dürften - jeder. Ja, so ein faules Autofahrerleben, mit einem stets gut bestückten Warenlager im Kofferraum hinterlässt eben seine Spuren, vielleicht haben wir ja wenigstens ein paar der überflüssigen Kalorien wieder ausschwitzen können.
Es ist Ende März, die Sonne über Neuseeland tut ihr Bestes und strahlt bei unserem erneuten Start im Land volle Kanne auf unser hernieder. Schönstes Spätsommerwetter, auch wenn schon ein bisschen Herbst in der Luft liegt. Guten Mutes schwingen wir uns wieder auf die Sättel und bekommen es schon bald zu spüren: Kondition und Kraft sind irgendwo im australischen Outback verloren gegangen, das Sitzfleisch ist von den bequemen Autositzen total verweichlicht und am Ende der ersten beiden Radeltage spüren wir die ungewohnte Belastung am ganzen Körper. Dann wird es aber so nach und nach wieder besser.
Knapp 5 Wochen verbleiben uns nun bis zu unserem Rückflug nach Deutschland und bis dahin müssen wir wieder Auckland ganz im Norden des Landes erreicht haben. Das wäre mit viel Willenskraft und Fleiß durchaus zu schaffen, aber in unserer derzeitigen körperlichen Verfassung sicher mühsam. Zudem haben wir keine Lust dieses Land nur noch auf diese Weise abzuarbeiten, sondern wollen uns lieber abseits der Hauptrouten noch etwas genauer umschauen. Auch auf das erneute Befahren unserer Route von vor einem halben Jahr haben wir keinen Bock. Und sonst gibt es wenig Alternativen, außer den großen Hauptstraßen. Daher haben wir schon einen entspannteren Plan vor Augen, mal schauen, was daraus wird.
Die Richtung ist aber erst mal klar: Es geht nordwärts. Anfangs liegt nur die Ebene um Christchurch, ohne jeden Berg, vor uns. Genau das Richtige zum Einradeln. Aber damit es nicht zu leicht wird, weht uns gleich mal ein kräftiger Wind entgegen. Danach kommen aber die ersten, doch Gott sei Dank noch gemäßigten, Anstiege.
Die Kilometer, die wir auf unserem Weg dann doch unvermeidlich auf dem State Highway 1 radeln müssen, immerhin die wichtigste Verbindungsstraße der Südinsel, sowie auf dem Abzweig zum Lewis Pass und auf die andere Inselseite, überstehen wir, entgegen unseren Befürchtungen, einigermaßen entspannt. Wir hatten mit deutlich mehr Verkehr gerechnet, denn während wir die letzten Tage in Australien verbracht haben, hatte es an der Westküste Neuseelands dermaßen starke Regenfälle gegeben, dass kurzzeitig der Notstand ausgerufen werden musste. Eine Brücke am Franz Josef Gletscher, ganz in der Nähe, wo wir Ende des letzten Jahres unser Nachtlager aufgeschlagen hatten, wurde komplett weggespült und somit ist momentan die Straße entlang der Westküste unterbrochen. Zudem kam es nach Erdrutschen auf den querenden Passstrecken im bergigen Inselinneren zu weiteren Straßensperren, sodass nun der ganze Verkehr versuchen muss, irgendwie durchs Land zu kommen. Man ist hier jedoch einiges an Wetter- und Natureskapaden, wie Zyklone, Erdbeben und Ähnlichem gewöhnt und geht scheinbar ziemlich entspannt mit solchen Widrigkeiten um.
Nach den ersten drei Radeltagen erreichen wir den alpinen Touristenort Hanmer Springs, der mit seinen vielen Mineralquellen und den üblichen Abenteuerbelustigungen viele gutzahlende Gäste anzieht. Für uns aber hat der Ort nur Bedeutung, als letzte Möglichkeit einzukaufen und als Ausgangspunkt des von uns anvisierten Molesworth Muster Trail. Der Weg soll uns nun mitten durch die Berge in den Nordostzipfel der Insel führen. Einen komischen Namen hat dieser Weg und seine Schwierigkeit ist mit 4 Grad, also hoch, angegeben, jedoch seine Beschreibungen klingen vielversprechend und wir sollen auch tatsächlich nicht enttäuscht werden. Weder von der Schwierigkeitsangabe, noch von seiner euphorischen Beschreibung.
Zunächst endet erst mal der Asphalt und die folgenden mehr als 200 km geht es nun auf einer Piste weiter, die mal mehr und oft weniger gut zu befahren ist. Häufig schüttelt uns das eingefahrene Wellblech so richtig durch und man ist ständig damit beschäftigt, die beste Spur des Weges auszuspähen. Aber wir haben schon Schlimmeres unter den Rädern gehabt.
Zu Beginn ist vorerst viel Schiebearbeit angesagt, denn es geht recht steil hinauf: 660 Höhenmeter Steigung, auf etwa 6 Kilometern, zum knapp 900 m hoch gelegen Jacks Pass - und das bei unseren untrainierten Körpern, eine Schinderei. Es wird nun einsamer, denn am Pass trennt sich die Spreu vom Weizen. Die ein, zwei radelnden Kurzzeitausflügler aus Hanmer Springs, die sich mit E-Motorunterstützung locker hier heraufgestrampelt haben, kehren um und übrig bleiben die Verrückten, die mit eigener Kraft und übervollen Rädern es hinauf geschafft haben - also nur wir.
Die folgenden 4 Tage geht es fast ununterbrochen auf und ab. Mal etwas sanfter durch hügelige weite Hochgebirgstäler, dann wieder zackig steil über weitere Pässe. Der Wards Pass, mit 1145 m, ist dabei der Höchste. Oft verläuft die Piste neben den Flüssen über Berge, um engen Talabschnitten auszuweichen, was dann immer mit zusätzlichen Höhenmetern verbunden ist. Eben ist es so gut wie nie, wir kommen nur langsam vorwärts und schaffen nicht viel mehr als 50 km am Tag. Kein leichtes Radeln und erst recht nicht mit einem vollbepackten Tourenrad.
Dennoch genießen wir es, denn die Landschaft um uns herum begeistert uns - eine wirklich wunderschöne einsame Bergwelt. Schlängelnd winden sich Flüsse durch die Täler. Mal weit verzweigend und dann wieder eng ins Gestein gegraben. Ringsum Berge und Hügel, mit zu dieser Jahreszeit vertrockneten Grashängen. Obwohl wir nun nur noch durchschnittlich in etwa 700 m Höhe sind, herrscht eine richtige Hochgebirgsatmosphäre. Bäume wachsen nur noch in geschützten Ecken. Das Klima Neuseelands ist schon sehr speziell, wenn man zudem bedenkt, dass nur wenige Kilometer entfernt es fast subtropisch zu geht.
Auf halber Strecke ragen dann besonders hohe schroffe, steile und felsige Berge hinter den Grashügeln hervor und bieten eine tolle Bergkulisse. Und mittendrin in dieser Einsamkeit die größte und abgelegenste Farm Neuseelands, die Molesworth Station. Obwohl, von einer richtigen Farm ist nicht viel zu bemerken. Die Kühe und Schafe streunen scheinbar sich selbst überlassen durchs Gelände, nur ein paar Viehroste und Weidegatter verhindern, dass sie auf Abwege geraten.
Das alles wäre natürlich nur halb so schön, wenn wir nicht so ein irres Glück mit dem Wetter hätten. Jeden Morgen schwingt sich die Sonne zu Hochform auf, vertreibt nächtliche Nebelfetzen aus den Tälern und begleitet unsere Fahrt. Dazu gesellt sich sogar noch ab und zu ein freundlich schiebender Wind. Jedoch sind die Tage nun schon recht kurz und wehe es wird dunkel. Dann heißt es sich warm einpacken, denn die Nächte sind nun Anfang April teilweise schon klirrend kalt und lassen uns tief in die Schlafsäcke kriechen. An einem Morgen werden wir dann vom ersten Neuschnee des nahen Winters auf den höchsten Gipfeln über uns gegrüßt. Schön anzuschauen, Hauptsache er bleibt da oben. Es fällt schwer, früh aus dem Zelt in die morgendliche Kälte zu kriechen und beim Losfahren beginnt man zu überlegen, wo sich eigentlich in den Untiefen der Radtaschen, die bisher auf dieser Tour noch nicht benutzten Handschuhe verbergen könnten. Doch die Gedanken sind schon bald wieder überflüssig, wenn es die Sonne abermals über die Gipfel geschafft hat und zu wärmen beginnt.
Die Strecke ist nur während der Sommermonate von Dezember bis April geöffnet und ist auch für Autos freigegeben, doch wagen sich scheinbar nur wenige abenteuerlustige Autofahrer hierher. Oft sind sie dann in kleinen Kolonnen unterwegs und verhalten sich bei unserem Anblick erstaunlich rücksichtsvoll und so gar nicht nach der eigentlich sonst von uns empfundenen rüden neuseeländischen Art. Wenn wir mit ihnen ins Gespräch kommen, herrscht die Meinung, dass die Piste doch bestimmt unangenehm zu beradeln sein muss. Wahrscheinlich werden auch sie in ihren stoßgedämpften Karren so ziemlich durchgeschüttelt und vielleicht sogar noch schlimmer, als wir, denn für 4 Räder gleichzeitig lassen sich bestimmt nicht so leicht ebene Spuren finden.
Doch damit es nicht zu schön wird, ereilt uns unterwegs mal wieder ein platter Reifen (der zweite dieser Tour) und kurzzeitig ist Flickarbeit angesagt. Kurz darauf kommt bei uns dann ein kleinwenig Schadenfreude auf, als wir sehen, dass dieses Malheur auch ein Auto erwischt hat und die begleitende Truppe mit Radwechsel beschäftigt ist. Tja, manchmal geht es den Menschen wie den Leuten.
Abend für Abend suchen wir für unser Zelt ein verstecktes Plätzchen, denn wir sind uns unsicher, wie man hier das wilde Campen duldet. Es gibt entlang der Strecke nur zwei offizielle Lagerplätze, viel zu wenig für diese ausgewiesene mehrtägige und anspruchsvolle Radelstrecke und zudem auch etwas ungünstig gelegen, um sinnvolle Tagesetappen hinzubekommen. Wir glauben zwar, dass hier das freie Übernachten außerhalb der Farm für unsereins gestattet ist, aber wollen evtl. mögliche Schwierigkeiten lieber vermeiden.
Je mehr wir uns dem Ende des Weges und wieder der Zivilisation nähern, umso häufiger tauchen nun wieder vereinzelt Farmhäuser am Wegesrand auf und auch ein paar Feriendomizile stehen herum. Seltsamerweise sind in der Nähe der Häuser ganz kurze Abschnitte asphaltiert, um kurz danach wieder in den unbefestigten Zustand überzugehen. Was hat das denn für einen Sinn? Es gibt nun auch wieder mehr Zäune und Vieh auf den Weiden, später prägen große Weinfelder die Täler. Wir nähern uns dem größten und bedeutendsten Weinanbaugebiet Neuseelands. Doch sind die Weinstöcke leider allesamt abgeerntet.
Dafür machen uns dann ein paar wilde Apfelbäume den letzten langen Anstieg über den Taylor Pass etwas schmackhaft und wir erreichen in Blenheim, dem größten Ort weit und breit, wieder bewohntes Gebiet.
Alles in allem liegen zwar anstrengende Tage für uns untrainierte Greenhorns hinter uns, jedoch mit einer überraschend schönen Fahrt durch eine beeindruckende Landschaft. Die Mühe hat sich gelohnt und wir sind nun spürbar auch wieder unserem einstigen Fitnesslevel etwas näher gekommen.
Wir packen uns in Blenheim wieder die Taschen mit Leckereien voll und lassen uns im nördlich gelegenen kleinen Spring Creek auf einem Campingplatz nieder. Dort können wir nach den wilden Tagen mal wieder eine herrliche Dusche genießen. Die Wäsche auf der Leine wird gerade noch so trocken, als das Wetter umschlägt und es sich für den kommenden Tag einregnet. Uns kann es egal sein. Mit der großen Küche und dem beheizten Aufenthaltsraum auf dem Campingareal haben wir den perfekten Luxus für schlechtes Wetter. Besser hätten wir es gar nicht abpassen können und lassen es uns gut gehen. Als wir uns nach dem Ruhetag wieder auf die Räder setzen, ist auch die Sonne wieder zur Stelle, wenn auch etwas verhalten und nicht mehr ganz so kräftig wie in den Tagen zuvor. Da soll noch mal jemand über das neuseeländische Wetter meckern! Klappt doch - es muss nur wollen!
Bis zum Fährhafen in Picton ist es nicht mehr weit, keine 30 km durchs Inland, allerdings auf der einzigen und sehr frequentierten Hauptverbindung, der SH1. Nichts für uns, zumal es einen sehr verlockend wirkenden Umweg entlang der Küste gibt. Da diese Strecke zum großen Teil unasphaltiert ist, hat sie für den Verkehr kaum Bedeutung und wird eigentlich nur von abenteuerlustigen Reisenden und ein paar wenigen Ansiedlern genutzt. Genau das Richtige für uns, auch wenn wir dafür einige Radelkilometer mehr und ein paar Tage Abgeschiedenheit einplanen müssen.
Zunächst geht es aber noch auf richtigen Straßen durch ebenes Weingebiet Richtung Küste. In unserem Schlepptau ein Reisebus, der seine Ladung zum Sightseeing nach Rarangi bringt, zum dortigen Monkey Beach, einer kleinen zwischen steilen Felsen versteckten Bucht. Der große Sandstrand daneben ist von hohen Pinienbäumen gesäumt und der Wind peitscht das Wasser zu hohen Wellen auf. Über dem Meer ein strahlend blauer Himmel und hinter uns hängen die nahen Berge voller Wolken und machen dem Name der Bucht alle Ehre: Cloudy Bay - Wolken Bucht
Gleich hinter dem umliegenden, flachen, mit Weinstöcken bestandenen Farmland geht es nun auf der Port Underwood Road, schlagartig steil hinauf. Bei der etwa 10%igen Steigung haben wir ganz schön zu kämpfen, aber noch ist Asphalt. Dennoch gibt es ab jetzt kaum noch Verkehr, das entspannt die Sache gewaltig. Oben beginnt dann jedoch der Schotter.
Die kommenden drei Tage verbringen wir auf der kleinen ziemlich einsamen Piste immer weiter im endlos scheinenden Auf und Ab entlang der dicht bewaldeten Steilküste. Vorwärts scheinen wir überhaupt nicht zu kommen. Die Strecke windet sich um fast jeden Bogen der zerklüfteten Küste, führt in nahezu jede Bucht hinunter und danach über den nächsten Bergrücken wieder hinauf. Die höchste Passhöhe hat einen 400 m hohen Anstieg. An jeder Aussichtsmöglichkeit sehen wir immer wieder den gleichen Felsen weit südlich von Blenheim auf der anderen Seite der großen Bucht, ehe die Piste dann irgendwann in einem großen Bogen quer über den zerfurchten Landzipfel führt und es entlang der gegenüberliegenden Bucht nach Picton geht.
Auf dem kleinen kostenlosen DOC-Camp in der Robin Hood Bay verbringen wir die erste Nacht. Das Plätzchen wird am Abend erstaunlich voll, da haben sich ja doch einige Mutige mit ihren Autos und Campern auf die Piste getraut und reihen sich nun für die Nacht brav dicht neben einander, denn ebene Stellflächen sind knapp. Wir waren zum Glück schon beizeiten da, um uns ein ruhiges Eckchen zu wählen, zudem haben wir es mit unserem geringen Platzbedarf etwas einfacher.
Die zweite Nacht lagern wir wieder einsamer, weit oben auf einem ehemaligen Forstweg neben der Piste mit einem tollen Blick über die fjordartige Küstenlandschaft. Als am Abend jedoch der Wind zu nimmt, haben wir echt Mühe ein windgeschütztes Plätzchen zu finden und werden heftig durchgeschüttelt. Ja, Windy Welli (Wellington) ist nicht mehr weit.
Es sind nur noch wenige Kilometer bis Picton, als wir zuvor noch mal ein Lager in der Whatamango Bay aufschlagen. Der einfache Campingplatz, nahe am Ufer der Bucht, ist nett gelegen, hat schönen zeltfreundlichen Rasen, sogar ein paar Picknickbänke und einige Schutz bietende Büsche und Bäume. Die brauchen wir dann auch dringend, denn der Wind wird abermals heftig und nun kommt auch noch Regen auf. Da wir bis zu unserer gebuchten Fähre noch genug Zeit haben, verbringen wir einfach den folgenden Regentag hier im Zelt, bleiben eine weitere Nacht und erleben abermals ein, uns unverständliches, Phänomen: Obwohl massenhaft Platz auf dem Campingareal ist und es viele schöne Ecken gibt, gruppieren sich andere Gäste dicht um uns herum. Das passiert uns ständig. Woran liegt das nur? Haben sie Angst alleine? Bei Alleinreisenden könnte man das ja eventuell noch verstehen, doch die Meisten sind ja nicht allein. Uns nervt das schon, zumal es auch immer wieder welche gibt, die nicht merken, dass ein ununterbrochenes Zuschlagen der Autotüren kolossal belästigend und störend sein kann. Wir waren auch noch vor Kurzem mit einem Auto unterwegs und wissen, dass sich das nicht ganz vermeiden, aber doch zumindest etwas rücksichtsvoller händeln lässt. Wir würden jedenfalls nicht im Traum darauf kommen uns direkt neben ein anderes Zelt oder Auto zu stellen, wenn dies vermeidbar ist. Sind wir nun etwa Sonderlinge? Vielleicht!
Picton empfängt uns dann wieder sonnig, auch wenn nun zunehmend auch die Tage kühler werden, die Nächte sind es ja schon lange. Die nächsten zwei Tage verbleiben wir auf dem Campingplatz, auf dem wir uns schon auf unserer Fahrt hinunter in den Süden einquartiert hatten. Damals hatten wir aufgrund des herrschenden regnerischen Wetters kaum was von dem Ort zur Kenntnis genommen. Diesmal jedoch ist es viel freundlicher und wir können uns etwas genauer umschauen. Auf einer kleinen Wanderung hinauf auf einen der umliegenden Hügel hat man einen schönen Blick auf den kleinen Hafenort am Nordzipfel der Südinsel. An diesem Städtchen kommt kein Neuseelandreisender vorbei, der zwischen Nord und Süd im Land unterwegs sein will, denn hier starten und landen die wichtigen Fähren zwischen beiden Inseln. Hübsch liegt Picton da unten an der engen und verzweigten Bucht mit dem Hafen und flankiert von grünen und steilen Berghängen. Neben den ankommenden und abfahrenden großen Fähren, schaukeln auch viele kleine Jachten und etwas abseits sogar riesige Kreuzfahrtschiffe auf dem Wasser. Ein kleiner Park umringt die Uferpromenade. Das überschaubare Zentrum bietet Unterkünfte für alle Preislagen sowie die dazugehörigen Shopping- und Einkehrmöglichkeiten. Ringsum stehen die kleinen Wohnhäuser der nicht mal 3000 Einwohner. Ein wirklich angenehmer Ort, um ein paar ruhige Tage zu verbringen.
Die Fährfahrt nach Wellington ist diesmal nicht so stürmisch, wie die Hinfahrt, im Gegenteil es herrscht schönstes sonniges Seefahrtswetter. Da wir völlig unkompliziert, als eine der ersten an Bord dürfen, können wir zwei hübsche Logenplätze ganz vorn an einer großen Panoramafensterfront ergattern und haben nun einen grandiosen Ausblick auf das wunderschöne Labyrinth des Queen Charlotte Sound. Somit wird die erste der insgesamt drei Stunden Fahrzeit sehr interessant und abwechslungsreich. Das ist wirklich eine faszinierende Küstenlandschaft, die diese Meerenge flankiert. Unzählige Buchten und viele Inseln spicken diese Passage. Ein Laie würde sich hier bestimmt unweigerlich verfahren. Man kann nur raten, um welche Klippe oder Kurve es als Nächstes geht. Aber der Kapitän scheint sich auszukennen und wir erreichen die Cookstraße. Diese Meerstraße zwischen Nord- und Südinsel, wo die Tasmansee und der Pazifische Ozean aufeinandertreffen, soll eine der stürmischsten der Welt sein und auch wir spüren sofort zunehmenden Wellengang und auch ein klein wenig Unwohlsein. So kommt Erleichterung auf, als dann schließlich die bergige Silhouette der Nordinsel auftaucht und bald darauf auch die Bucht von Wellington und dessen Hafen erkennbar wird.
Die Sonne verschwindet schon hinter den Bergen, als wir von Bord rollen und so steuern wir schnurstraks das von uns gebuchte und nahe Hotel Waterloo an. Das historische viktorianische Gebäude empfängt ein großes Spektrum an Reisenden, denn es bietet, neben besseren Hotelzimmern für Kofferurlauber, auch bescheidenere Unterkünfte für Backpacker an. Wir haben uns für die mittlere Kategorie entschieden und sind vor allem froh, dass sich auch für die Räder ein nettes Plätzchen findet, denn das ist bei Unterkünften mitten in einem Stadtzentrum nicht immer vorausgesetzt. Das Hostel hat sogar Geschichte, denn hier soll schon mal das Gefolge von Queen Elisabeth abgestiegen sein. Aber das ist offensichtlich lange her. Etwas vom früheren Glanz ist ja noch zu sehen, wenn auch nicht unbedingt in unserem kleinen Zimmer, das noch dazu zum Hinterhof raus geht und man den Himmel nur in der spiegelnden Glasfassade des unmittelbar angrenzenten Hochhauses erahnen kann. Im alten riesigen Empfangssaal ist jetzt der Aufenthaltsraum für die Gäste mit einem kleinen Selbstbedienungsrestaurant und in der anschließenden "Großküche" kann man sich sein Essen auch selber herrichten. Schon erstaunlich, wie die hier bei den Massen an Gästen einigermaßen für Ordnung sorgen, wo es doch fast in jedem Hostel welche gibt, die sich tatsächlich, wie zu Hause fühlen und alles stehen und liegen lassen, in der Annahme, dass Mama später alles wegräumen wird.
Wellington, die Hauptstadt des Landes ist schon besonders. Bissel widersprüchlich: moderne Hochhäuser mit glitzernden Glasfassaden und dazwischen noch gut erhaltene ältere Häuser aus den Anfangszeiten der europäischen Besiedlung, die sind mal groß und repräsentativ und mal klein und einfach. Alles dicht an dicht und sehr beengt, entlang der Bucht mit den Hafenanlagen und zu Füßen der steil aufragenden nahen Berge. Auf den geringen ebenen Flächen ballen sich Gebäude und Straßen, doch auch überall dort, wo es eine Bebauung zulässt, stehen verstreut hinauf an den Hängen weitere bunte Häuschen. Obwohl die Hauptstadt viel, viel weniger Einwohner als Auckland und auch als Christchurch hat, geht es hier viel quirliger und lebhafter zu. Alles ist sehr kompakt und die Bevölkerung (inklusive der vielen reisenden Besucher) drängen sich auf nur wenig Platz zusammen, gar nicht so ausschweifend, wie es sonst in Neuseeland meist üblich ist. Das bergige Umland lässt eben nicht viel Raum. Selbst ein vielspuriger Highway muss sich seinen Weg mitten durch die Stadt suchen. Dennoch hat die Stadt einen gewissen Charme. Sicher macht das auch die Lage am Meer aus.
Für die restliche Fahrt zurück nach Auckland hatten wir schon lange im Vorfeld geplant, eine Transportmöglichkeit in Anspruch zu nehmen. Nur welche: Bus oder Zug? Beide sind mit Fahrrädern natürlich nicht immer leicht zu händeln. Vielleicht ja doch besser ein Auto? Dann fand sich im Internet eine Seite, wo Mietwagenfirmen Autos kostenlos anbieten, um diese von A nach B überführen zu lassen. Wir bewerben uns um ein Geeignetes, bekommen tatsächlich die Bestätigung und 2 Tage Zeit um das Auto von Wellington nach Auckland zu bringen. Allerdings haben wir keine Möglichkeit, einen bestimmten Autotyp zu wählen. Und so kommt natürlich, was wir befürchtet hatten: Das Auto ist ein Mini. Und es ist nicht nur klein, es ist sogar winzig klein. Vor allem der Kofferraum hat seinen Namen nicht verdient, denn er bietet allerhöchstens Platz für eine Aktentasche. Wir nehmen die Räder nahezu komplett auseinander, bauen den hinteren Bereich des Autos bestmöglich um und sind erleichtert, als dann die Fahrradrahmen geradeso hineinpassen. Der Rest kann dann mit viel logistischem Geschick ebenfalls noch verstaut werden und auch für uns bleibt noch etwas Platz.
Wir starten unser "Spielzeugauto" und brausen Richtung Norden. Viel Zeit für Umwege und Abstecher haben wir nicht, dennoch wollen wir nicht die kürzeste Verbindung auf dem autobahnähnlichen State Highway 1 nehmen, sondern, zumindest anfangs davon etwas abweichen und folgen dem weiter westlich verlaufenden kleineren Highway 2.
Nachdem wir zunächst den Ballungsraum, mit den vielen Vorstädten, rund um Wellington hinter uns gelassen haben, geht es auf der Rimutaka Hill Road sehr kurvenreich durch eine schöne Berglandschaft, während unser Autochen die fast 600 Höhenmeter über einen Pass bezwingt, genießen wir die schönen Ausblicke. Es ist viel Verkehr unterwegs, denn das Osterwochenende ist angebrochen und zudem Schulferienzeit im Lande. Wir sind froh, dass wir dem Verkehr, trotz unserer geringen Autogröße, doch etwas gleichberechtigt begegnen können und uns nicht am Straßenrand als Radfahrer, um jeden Zentimeter Platz kämpfend, durchschlagen müssen.
Danach geht es einige Kilometer entgegen unserer vorherigen Radelstrecke und wir schwelgen in Erinnerungen: Hier war doch ... Und da sind wir ... Am Abend steuern wir zielsicher den kleinen Campingplatz in Eketahuna an, denn wir ebenfalls schon von der Hinfahrt kennen. Ein Kleinod unter den Campingplätzen des Landes: Recht komfortable und liebevolle Gastfreundschaft für wenig Geld - da fühlt man sich einfach wohl.
Nun bekommen wir also das Land auch noch von einer anderen Seite, nämlich von der eines Autoreisenden zu sehen und müssen feststellen, dass das schon etwas anderes ist. Neuseeland ist ja bekannt für seine verschiedenartigste Natur auf engstem Raum und wenn man so durch das Land rast, wird das natürlich viel deutlicher spürbar. Alle paar Kilometer verändert sich die Umgebung, die sich uns im schönsten Herbstsonnenlicht präsentiert. Osterstimmung kommt dabei jedoch nicht auf. Irgendwie passen die bunten Blätter an den Bäumen nicht so richtig dazu, kein Wunder, dass hier niemand bunte Eier an Bäume oder Sträucher hängt.
Am zweiten Fahrtag fahren wir dann durch das Zentrum der Nordinsel, vorbei am Tongariro Nationalpark, einer von vulkanischen Aktivitäten geprägten weiten Hochebene. Der Mount Ruapehu, der höchste Vulkan Neuseelands mit knapp 2800 m, dominiert die Kulisse und sein schneebedeckter Gipfel zeigt sich über viele Kilometer nach jeder Kurve von Neuem. Während hier die umgebende Landschaft recht karg und fast wüstenhaft wirkt, wird es am Lake Taupo wieder grüner. Wir passieren den größten See des Landes, fast unmittelbar an seinem östlichen Ufer, ehe es dann im Endspurt geradewegs Richtung Auckland geht.
Am Ostersonntag geben wir unseren kleinen Flitzer am Flughafen von Auckland zurück und friemeln die Räder wieder zusammen. Noch haben wir über eine Woche Zeit bis zu unserem Rückflug und steuern erst mal eine gebuchte Unterkunft an. Die liegt jedoch am anderen Ende der Stadt und so radeln wir bergauf und bergab, begleitet von neugierigen Feiertagsradlern durch die weitausgebreitete Stadt. Wenigstens kommen wir so nicht ganz aus der Übung, haben wir doch gerade erst wieder einen einigermaßen annehmbaren Trainingszustand erreicht. Doch ob sich der bis zum Rückflug noch halten lässt? Wir befürchten eher nicht, denn in unserer Bleibe ist es gar zu gemütlich und zudem wechselt das bisher schöne sonnige Herbstwetter nun in eine sehr unbeständige und regnerische Witterung. Nach ein paar Tagen macht sich aus Buchungsgründen ein Wechsel der Unterkunft nötig und kurz vorm Abflug ziehen wir noch einmal um, damit wir wieder näher am Flughafen sind. Vielleicht würde sich für uns ja als Nebenjob das Testen von Unterkünften anbieten, bei den Erfahrungen, die wir inzwischen gemacht haben. Hier in Neuseeland haben die Zimmer natürlich einen guten Standard und man kann kaum etwas aussetzen, noch dazu, wenn man die Reisekasse nicht zu sehr belasten will. Was hier sehr verbreitet ist, dass kleine Wohnhäuser an mehrere Gäste vermietet werden. Man bezieht dann jeweils eines der Schlafzimmer und bewohnt den Rest des Hauses, wie Küche und Bad zusammen mit den anderen Mietern, wie in einer WG. Da ergeben sich natürlich auch viele nette und interessante Bekanntschaften. Nur manchmal wohnen die Vermieter ebenfalls im Haus.
Auckland haben wir ja schon bei unserer Ankunft genauer beschnuppert und können uns so nun in aller Ruhe daran machen, uns auf den langen und weiten Rückflug in die Heimat vorzubereiten.