31. Juli - 25. August 2017
Lausanne - Interlaken - Glarus - Landeck - Innsbruck - Passau - Wien
Geradelte Strecke: 1549 km (Insgesamt 8552 km)
Die französisch-schweizerische Grenzpassage am Pass mitten im Juragebirge ist völlig unspektakulär. Kein Schild, nichts. Nur ein verwittertes Schweizerkreuz an einer Bretterbude gibt einen Hinweis. Am letzten Julitag rollen wir nun hinein in das nächste Land unserer Reise. Zumindest sprachlich ändert sich erstmal nichts, man spricht weiter französisch. Doch an eine andere Währung müssen wir uns gewöhnen und schon bald werden wir merken, dass hier jede Menge Schweizer Franken nötig sind, um durch das Land zu kommen.
Zielstrebig geht es hinunter an den Genfer See. Ab Lausanne folgen wir dem ausgeschilderten Radweg am Nordufer Richtung Osten. Während die Hauptstraße unten nahe am Wasser entlang verläuft, werden die Radler durch die imposanten, terrassenförmig angelegten und zum Teil irre steilen Hänge der Weinberge des Lavaux gescheucht. Natürlich Südhang und Null Schatten, doch der Blick auf den See und die Alpen ist herrlich. Berge gehören selbstverständlich zum Bild, das man von der Schweiz hat, aber Weinberge ...!?
Die Schweizer empfangen uns enthusiastisch. Überall in den Orten und auch unterwegs an einsamen Bauernhöfen wehen zahlreiche Fahnen und Wimpelketten. Meist überwiegt das Rot-Weiß der Schweizer Nationalfahne. Das ist ja nett! Doch etwas beunruhigt uns. Obwohl es Montag ist, wirkt das Land irgendwie verschlafen. Die kleineren Läden sind geschlossen und in vielen der Firmen, an denen wir vorbeikommen wird offensichtlich nicht gearbeitet. Dafür ist man vielerorts damit beschäftigt Festzelte und Bühnen aufzustellen und riesige Feuerstellen zu errichten. Nein, das kann nicht unserem Empfang gelten, da werfen andere große Ereignisse ihre Schatten voraus. Schnell stürmen wir in einen offenen Supermarkt und decken uns lieber noch reichlich mit Lebensmittel ein. Und tatsächlich, als am Abend eine Frau beim Gassi gehen an unserem eigentlich versteckten Lagerplätzchen vorbeikommt, erfahren wir im Gespräch mit ihr, dass am kommenden Tag, dem 1. August, der Nationalfeiertag der Schweizer ist. Die Schweizer haben viel Nationalstolz und wissen ihr Land zu feiern. Schon in der Nacht vorm eigentlichen Feiertag schallen zahlreiche Feuerwerke über den See und die Geräusche der Feiern und musikalischen Darbietungen begleiten uns in den Schlaf.
Doch für uns wird der Feiertag ein ganz normaler Radeltag. Am nordöstlichen Zipfel des Genfer Sees erreichen wir in einer Auenlandschaft den Mündungstrichter der Rhone. Der Fluss ist herrlich gletscherfarben, randvoll und hat eine ziemlich starke Strömung. Lange überlegen wir, welche der vielen möglichen Routen wir nun durch die Alpen folgen und entscheiden uns zunächst für einen Teil der Alpenpanoramaroute (Route 4). Und schon geht es in vielen Serpentinen hinauf und man hat noch lange einen Blick auf das so nach und nach immer tiefer liegende Rhonetal. Auch hier geht es zunächst durch Weinberge und die Sonne brennt unbarmherzig. Später erfahren wir in den Nachrichten, dass es einen so heißen Schweizer Nationalfeiertag seit Messbeginn noch nie gab. An vielen Orten wurden Temperaturen von über 35 Grad erreicht. Doch während sich die Schweizer vor den wenigen Häusern am Wegesrand gemütlich mit der Familie und den Freunden im Schatten entspannen, kämpfen wir uns etwa 15 km mehr als 1000 Höhenmeter empor. Eine Einladung zu einem Erfrischungstrunk, lehnen wir angesichts der gut gefüllten Weingläser lieber ab, denn wir bezweifeln, dass das unserem Durchhaltevermögen förderlich ist und begnügen uns mit dem frischen Quellwasser aus einem der vielen Brunnen. Mit teilweise zweistelligen Steigungsprozenten geht es auf dem schmalen Sträßchen hinauf und auch in dem weiter oben schattigeren Waldstück wird es nicht einfacher. Kurz vorm Pass gibt es dann noch eine etwa 1 km lange Tunneldurchfahrt, um eine steile Felspassage zu durchfahren. Er ist zwar unbeleuchtet, doch Durchbrüche zur Talseite, spenden ausreichend Licht. Les Agites in 1500 m Höhe ist eigentlich gar kein richtiger Pass, nicht mal ein ordentliches Passschild gibt es. Doch der Ausblick auf die Bergwelt, das Ende des Rhonetals und den Genfer See ist schon toll und wenn da sich nicht bedrohliche Unwetterwolken nähern würden auch ein Genuss nach den vorherigen Strapazen. So bleibt uns nur, schnell die Abfahrt in das Saanetal auf der anderen Passseite anzugehen. Hier ist die Straße weniger steil, viel breiter ausgebaut und hat viele nummerierte Brücken. Das hat wohl seinen Grund darin, dass die östliche Seite des Passes eine Militärstraße ist. Diese darf nur an Sommerwochenenden von der Allgemeinheit befahren werden. Doch auch jetzt am Feiertag hält sich der Verkehr erfreulicherweise in Grenzen, zumal die Schweizer Autofahrer keinen sehr rücksichtsvollen Eindruck bei uns hinterlassen. Das sind wir aus Spanien und Frankreich anders gewöhnt. Dort hatte man ja beim Überholen regelrechte Ehrenrunden um uns gedreht. Viele Unterschlupfmöglichkeiten bieten sich nicht und so sind wir erleichtert endlich unter dem Vordach einer Hütte uns vor dem immer stärker werdenden Regen in Sicherheit zu bringen. Unterbrochen von kurzem abendlichen Sonnenschein, folgt ein Gewitterschauer dem nächsten, der heiße Tag scheint sich mit aller Macht entladen zu wollen. Doch uns stört das erstmal nicht mehr, denn wir können im Trockenen unser Abendbrot kochen und als später der Himmel wieder aufklart und die Sterne über den Bergen strahlen, findet sich auch gleich in der Nähe ein ruhiger Schlafplatz. Obwohl ruhig - auch in dieser Nacht schallen mehrere Freudenfeuerwerke durch die Berge.
Am nächsten Tag geht es wieder bei strahlendem Sonnenschein durch eine weite Hochebene und weiter hinab in das Saanetal. Hier verlassen wir die Alpenpanoramaroute und wollen nun der Seenroute (Route 9) folgen. Doch zunächst wird in Saane ein Campingplatz angesteuert, denn es ist wieder mal Zeit für Dusche und Wäschewaschen. Und auch hier wird uns deutlich gemacht, dass die Schweiz kein Billigreiseland ist. Die Campingplatzgebühren sind gepfeffert und für alles mögliche muss man extra zahlen. Dusche, Internet - alles nicht inklusive. Endgültig die Fassung verlieren wir, als wir an der Mülltonne darauf hingewiesen werden, für die Entsorgung nur kostenpflichtige Müllbeutel zu verwenden. Wo gibt es denn so was!? So hinterlassen wir eben unser Sackerl in einem Papierkorb. Aus Rache belegen wir sämtliche Steckdosen im Aufenthaltsraum, um unsere elektronische Gerätschaft aufzuladen. Es ist ein häufiges Problem auf den Campingplätzen normale zugängliche Steckdosen zu finden. Meist gibt es die nur in den Waschräumen und wer will schon sein Handy unbewacht über einem Waschbecken baumeln lassen. Auch im Supermarkt stöbern wir fassungslos durch die Regalreihen. Vor allem Fleisch und Milchprodukte sind irre teuer. Da kann uns auch der Hinweis auf garantierte Bioprodukte nicht trösten. Vegetarische Ernährung ist auch keine Alternative, denn Obst und Gemüse hat auch seinen Preis. Auch sonst kommt man nur günstig weg, wenn man die XXL Packungen der supermarkteigenen Marken wählt. Doch wo sollen wir 2 kg Nudeln, Müsli und ähnlich gigantisches denn hin packen. Das übersteigt das Packvolumen unserer Taschen gewaltig. Na ja, Schwammerl drüber. Ein schönes Land ist es dennoch und die Schweizer sind auch ausgesprochen freundlich. Bei Gstaad kommen uns nach so langer Zeit in fremdsprachigen Regionen nun auch wieder vertraute Laute an die Ohren. Wir haben das deutschsprachige Gebiet der Schweiz erreicht. Grüezi! Doch müssen wir uns auch daran erst wieder gewöhnen und oft zucken wir, wenn wir angesprochen werden, erstmal wie gewohnt entschuldigend mit den Schultern, ehe wir dann doch schnell noch eine Antwort bereit haben.
Drei Tage folgen wir der Seenroute. Die verläuft, entsprechend dem Namen, zwar immer entlang von Seen, doch sind wir noch immer in den Bergen und an den häufig schroffen Uferabschnitten verläuft der Weg steil auf und ab. Haben wir bei unserer diesjährigen Tour schon oft über den zunehmenden Verkehr von E-Bikes gestaunt, sind wir hier in der Schweiz in einem regelrechten E-Bike-Mekka. Da kommt der Opa mit einem flotten Gruß auf den Lippen am Berg an uns vorbei gestürmt und die Hausfrau fährt auf ihrer Einkaufstour an einem Anstieg so flott, dass es sie fast aus der Kurve trägt. Na, wer will das den Schweizern mit ihrer bergigen Heimat verdenken.
Es geht vorbei am noblen Ferienort Interlaken, mit seiner tollen Bergkulisse und durch Spiez. In den türkisblauen Seen dümpeln kleine und große Yachten und von den Gipfeln schweben Paraglider ins Tal. Viele schick restaurierte Häuser in den Orten. Obwohl es zwar meist auf einem eigenen Radweg entlang geht, nervt der Verkehr der nahen Hauptstraßen gewaltig. Hier ist eben nicht viel Platz und so liegen Straße, Eisenbahnstrecke und Spazierwege nahe neben- (manchmal sogar über-) einander und die engen Täler verstärken den Lärm noch. Das ist die weniger schöne Kehrseite dieser einmaligen Landschaft. Als Autofahrer wird man sie kaum wahrnehmen und die Anwohner kennen es nicht anders. Doch auf uns wirkt sie alles andere, als idyllisch - leider. Zwischendurch lassen die Berge auch mal etwas mehr Platz. Dann beherrschen Felder und kleine Gewerbegebiete die Szenerie. Letzteres finden wir ja etwas unpassend in dieser Landschaft, aber woanders ist in diesem bergigen Land eben nicht genug freie Fläche für sowas. Was auch für das Finden eines geschützten Lagerplatzes zutrifft. Eines Abends werden wir von einem heftigen Regenschauer heimgesucht und können wir uns nur unter das kleine Vordach eines Trafohäusels retten, hinter dem wir, nur wenige Meter neben der Straße und umgeben von kleinen Betrieben die Nacht verbringen. Nachdem bei Sonnenuntergang eines der Gebäude sich noch als Moschee entpuppte und ein paar Gläubige vorbei kamen, blieb die Nacht ruhig. Am Morgen wurden wir jedoch schon zu einer ungewohnt frühen Stunde aufgescheucht: es war Arbeitsbeginn in den umliegenden Firmen.
Nachdem wir in recht ebenen Gelände Kilometer machen konnten, geht es über einen kleinen Pass ins Nachbartal, wo sich weitere Seen aneinanderreihen. Der Vierwaldstättersee ist dicht besiedelt. Viele teuer aussehende Häuser mit wahrscheinlich noch teureren Apartments säumen die Straße und die Badestellen am schmalen Uferbereich sind bei dem schönen Sommerwetter gut besucht. Doch uns lockt das gar nicht. Dieses Gedränge unmittelbar neben der Straße. Ein Wunder das die Autos niemandem über die Füße fahren.
Mit der Autofähre setzen wir an das Nordufer über und verlassen die Seenroute. An Schwyz, dem namensgebenden Gründungsort des Landes, vorbei, geht es nun wieder hinauf in höhere Regionen. Durch das Muotatal ist die Steigung zunächst noch sacht. Leider legt ausgerechnet jetzt die Schönwetterperiode, nach dem sie uns immerhin 6 Tage verwöhnt hat, eine Pause ein. Wir bezwingen den mehr als 10 km langen Anstieg auf den 800 m höheren Pragelpass im diesigen Nieselregen. Und wieder einmal geht es extrem steil zur Sache - unglaublich. Die Steigungswerte haben vereinzelt Spitzen bis fast 20 %. Keine flacheren Stellen, um mal die Beine zu lockern. Hinzu kommt, dass die Straße sehr eng ist und man oft gezwungen ist, wenn ein Auto kommt anzuhalten, um auszuweichen. Das Wiederanfahren bei dieser Steigung mit den schweren Rädern ist dann natürlich mühsam. Müssen die denn auch bei diesem Mistwetter alle hier herum fahren. Wenn sich zwei Autos begegnen wird brav abgebremst und um einander herum geschlichen, doch wegen einem Radfahrer wird man doch nicht seinen Schwung einbüßen, sondern versucht sich eben ungebremst vorbeizumogeln. Das ist echt grausam. Dichter Wald links und rechts der Straße, sonst nichts. Erst auf den letzten Kilometern wird es etwas flacher. Auf der Internetseite www.quaeldich.de lesen wir (leider, oder auch zum Glück erst hinterher): "Der Pass ist für Normalradler eine echte Herausforderung, und wer absteigt, muss sich daher nicht schämen. Dieser einspurige Pass ist der Hammer! Er ist erbarmungslos, nur Schattenspenden kann er, .... Ansonsten wird dem Radler nichts und zwar gar nichts geschenkt. Wer den Pragelpass nicht fahren muss, sollte es lassen. Mehr gibt es nicht zu erzählen."
Oben am Pass sind wir total durchnässt. Innen vom Schwitzen und außen von dem immer stärker gewordenen Regen. Schnell fangen wir an zu frieren. Außer einem schicken Restaurant und einem großen Parkplatz bietet der ebene Pass nichts, um sich unterstellen zu können. Irgendwie scheinen wir bei unseren Passfahrten vom Wetterpech verfolgt zu werden. Schon die Ankunft auf den vorherigen konnten wir nicht richtig genießen. Das ist richtig undankbar, nach der ganzen mühsamen Strampelei. Schnell also noch was einigermaßen Wärmendes übergezogen und zitternd geht es 10 km hinunter an den See ins Klöntal.
Einen Tag später stehen wir am Rheinufer. Wir folgen dem Fluss ein paar Kilometer stromauf und streifen ein Gebiet mit sehr italienisch klingenden Ortsnamen. Später teilt sich der Flusslauf und entlang des Hinterrheins wird das zuvor weite Flusstal richtig eng und der Strom schlängelt sich eindrucksvoll durch hohe Felsen. So ein wirkungsvolles Flussbett hätte man dem Rhein gar nicht zu getraut. Zudem kann man dies auch noch auf dem höher liegendem fast ebenen Radweg richtig genießen. Und obendrauf gibt es auch noch eine nette Lagermöglichkeit für uns. Auf dem Weg wieder hinunter ins Tal kommen wir noch an einer Bunkeranlage aus Zeiten des Kalten Krieges vorbei.
In Thusis machen wir uns an den Anstieg zu unserem höchsten Alpenpass, dem Albulapass. Mathias ist ihn schon mal gefahren und weiß was uns erwartet. Zudem stehen hier an den meisten von Radfahrern frequentierten Anstiegen Hinweisschilder mit Angaben dazu, was auf einen zukommt. In diesem Fall sind es 1700 Höhenmeter auf 42 km. Na dann mal los! Schlimmer als die vorherigen kann es ja kaum noch werden. Die erste Hälfte verläuft steigungsmäßig noch human. Aber die Straße ist zunächst noch viel befahren und ein paar lange Tunnel bringen einen zusätzlichen Nervenkitzel. Wir hassen es in wilder Hatz durch verkehrsreiche Tunnel rasen zu müssen. Für Randstreifen ist in diesen so gut wie nie Platz und uns sitzt stets die Angst im Nacken von einem motorisierten Raser übersehen zu werden. Später verliert man blöderweise durch Abfahrten wieder bereits gefahrene Höhenmeter.
Nach Tiefencastel lässt der Verkehr dann nach. Nun geht es stetig bergauf. Im Winter wird die Straße als kilometerlange Rodelstrecke genutzt. Dann ist die ohnehin verkehrstechnisch nicht wichtige Straße für den Verkehr gesperrt. Nur wie kommen die Rodler dann hier herauf, zu Fuß? Vielleicht ja mit der Eisenbahn. Die Route ist auch bei Eisenbahnfans sehr beliebt, denn die Streckenführung der Bahn ist durch die vielen Kehren, Tunnel und Brücken spektakulär. Aus dem Tal folgen uns dunkle Wolken herauf. Der Himmel zieht sich immer mehr zu. Sollten wir wieder kein Wetterglück auf diesem Pass haben? Wir nähern uns noch bis auf 400 Höhenmeter dem Pass und machen kurz unterhalb der Baumgrenze in 1900 m Höhe Feierabend. Gerade noch rechtzeitig um vor dem beginnenden Unwetter noch im Trockenen das Zelt aufzubauen. Nahezu die ganze Nacht blitzt und donnert es und unsere Hoffnung auf eine sonnige Gipfelfahrt schwindet immer mehr. Doch am Morgen können wir es kaum glauben, als hoch oben in den Baumwipfeln blauer Himmel und Sonnenstrahlen zu sehen sind. Aus Angst, dass dies nicht anhält brechen wir zeitig auf. Die letzten 6 km geht es vorbei an kahlen Geröllfeldern. An einigen geschützten Stellen gibt es noch Hagelreste des Unwetters der vergangenen Nacht und viele Bäche stürzen sich tosend ins Tal. Aber diesmal klappt es mit dem entspannten Gipfelfoto - keine überstürzte Abfahrt nötig - alles perfekt. Nach einer kurzen Fahrt über die weite Hochebene geht es in vielen Serpentinen "nur" 700 m hinunter nach La Punt ins Inntal.
Der Inn ist ein gewaltiger Fluss. Jetzt in den Sommermonaten ist er randvoll gefüllt und bahnt sich tosend mit vielen Stromschnellen seinen Weg durch die Berge. Schiffbar ist er nur an wenigen Stellen für Ausflugsboote oder für abenteuerlustige Schlauchbootfahrer. Die ersten Kilometer geht es munter auf und ab. Der Radweg ist teilweise auch eine holprige Naturpiste und stellenweise von Bergbächen in Mitleidenschaft gezogen, sodass Umleitungen nötig sind. Nur in den Orten benutzt man die Straße. Viele Rastplätze am Wegesrand. Super sind die überall vorhanden ausgebauten Quellen, um Trinkwasser tanken zu können. Erstaunlich auch die große Anzahl an "Brätlistellen" - öffentliche Feuerstellen, mal mehr, mal weniger komfortabel ausgebaut. Manchmal liegt sogar Feuerholz bereit. So können wir nicht widerstehen und verbringen einen Abend an einer solchen.
Nach zwei Tagen entlang am Inn überfahren wir die Grenze nach Österreich. In dem Bereich quetscht sich der Fluss durch eine Engstelle. Im ersten österreichischen Ort Pfunds, im Dreiländereck, steuern wir einen Campingplatz an und harren dort zwischen vielen Wohnmobilen den nächsten verregneten Tag im Zelt aus. Nichtmal eine ordentliche trockene Aufenthaltsmöglichkeit gibt es und wir sind froh, dass sich das Wetter am folgenden Tag wieder bessert.
Im unteren Teil ist der Inn oft angestaut und große Staudämme queren das Flusstal. Der weitere Weg verläuft fast ständig in unmittelbarer Nähe zur Autobahn. Mal düsen die Autos links und mal rechts vorbei und auf der anderen Seite rauscht der Fluss. Nein, entspannend ist das nicht. Auch Nachts haben wir keine Ruhe. Es ist ohnehin schwierig ein verstecktes Plätzel zu finden und so bleibt es nicht aus, auch mal direkt hinter der Lärmschutzwand, die allerdings ihrem Namen nur bedingt gerecht wird, zu kampieren.
Das Inntal weitet sich und Innsbruck ist erreicht. An dem sonnigen Sonntag ist viel los am Flussufer und im Zentrum. Doch schnell liegt die Stadt wieder hinter uns. Dann erreichen wir Kufstein. Hier markiert der Inn die deutsch-österreichisch-Grenze und wir passieren die nordöstlichen Ausläufer der Alpen. Leider werden nun auch die zuvor noch reichlich sprudelnden Quellen am Wegesrand immer seltener. Doch es ist perfektes Biergartenwetter. Das erste deutsche Bier ist noch gewöhnungsbedürftig, das zweite schon besser. Zunächst pendeln wir noch etwas zwischen Österreich und Deutschland hin und her, ehe wir, wie auch der Inn, die südöstliche Ecke Bayerns durchqueren. Es ist nicht mehr ganz so eben und ab und zu ist der Fluss gar nicht zu sehen. Plötzlich sind wir irritiert - irgendwas ist anders - totale Stille um uns herum - kein Autolärm mehr - nach mehr als drei Tagen hören wir wieder Vogelgezwitscher - herrlich - doch nein, da kommt ein Traktor übers Feld getuckert. Doch der scheint unser Entsetzen zu spüren und verzieht sich schnell wieder.
Es ist langsam Zeit, mal wieder eine feste Unterkunft aufzusuchen und ein paar erholsame Ruhetage einzulegen, doch bei dem schönen Wetter schieben wir es nun schon eine Weile vor uns her. Dann geben wir das Warten auf eine Wetterverschlechterung auf und buchen uns ein Apartment in dem Kurort Bad Füssing. Hier ist das Angebot, aufgrund der zahlreichen Thermalbadbesucher riesig und die Preis-Leistungsverhältnisse perfekt. Bei unserer Ankunft ist die Wirtin total aufgeregt. Sie hatte eine schlaflose Nacht, denn es hatte für das letzte freie Zimmer eine Doppelbuchung gegeben. Wir haben schon sehr oft Zimmer über das Internet gebucht, doch das passiert uns zum ersten Mal. So war man in den letzten Stunden erfolglos bemüht uns zu erreichen, um uns Alternativen anzubieten. Doch wir haben unterwegs Telefon- und Internetverbindung im Stromsparmodus, nämlich aus. Tja, Pech gehabt. Jedoch nicht wir, sondern die anderen Bucher, denn die müssen nun ins Ausweichquartier - kein Problem in einem Ort, wie Bad Füssing. Doch das muss man der booking.com-Internetseite schon gutschreiben, die hätten uns nicht vor der Tür stehen lassen.
So können wir nun entspannt die Beine hochlegen und nach einem weiteren extrem schwülwarmen Tag in sicherer Umgebung beobachten, wie am nächsten Abend ein zerstörerisches Unwetter über die Region hinwegfegt. Wir verfolgen in den Nachrichten, wie heftige Sturmböen aus riesigen Bäumen in Sekunden Kleinholz macht und auf Festwiesen und Zeltplätzen wütet. Na, da haben wir doch einen siebten Sinn gehabt. Das hätten wir nicht in unserem Zelt, mitten im Wald erleben wollen. Die Nacht wäre sicher (im günstigsten Fall) schlaflos geworden.
Bei unserer Weiterfahrt ist das Sommerwetter wieder da. Überall sind die Sturmschäden zu sehen. Vieles ist schon aufgeräumt worden und es liegen jede Menge zersägte Bäume am Straßenrand. 30 km später erreichen wir Passau und schlängeln uns durch die rustikalen Gassen der Innenstadt. Hier mündet der Inn in die Donau, doch eigentlich macht es eher den Eindruck, als ob der reißende Inn die gemächlich dahin plätschernde Donau in sich aufnimmt. Entlang des Donauufers ankern mehrere Ausflugs- und Kreuzfahrtschiffe und spucken Touristenkarawanen aus, die sich auf der schmalen Landzunge am Zusammenfluss die Beine vertreten. Aber auch viele Stadtbewohner mit ihren Kindern tummeln sich an dem Sonntag in der kleinen Anlage und auf dem Spielplatz. Die folgende Nacht verbringen wir ein paar Kilometer weiter, in unmittelbarer Nähe der Grenze wieder hinüber nach Österreich. Nachdem uns zunächst noch ein Polizeiauto bei seiner Streifenfahrt zur „Sicherung der deutschen Grenzen“ etwas verunsichert hat, bauen wir dennoch bei Einbruch der Dunkelheit unser Zelt direkt am Flussufer auf.
Etwa 6 Tage folgen wir nun der Donau durch Österreich, begleitet vom schönsten Hochsommerwetter, dass man sich wünschen kann. Bei den berühmten Donauschlingen bleibt uns leider der Ausblick von einer der Anhöhen auf diese Naturschauspiel verwehrt. Schade, doch der Wanderweg hinauf ist wegen LEBENSGEFAHR gesperrt!? Vielleicht ja auch noch eine Folge des vergangenen Unwetters. So schlängeln wir uns ebenfalls am Flussufer durch das einsamen hügelige und dicht bewaldete Gebiet.
Doch alleine ist man auf dem Donauradweg eigentlich nie. Viel mehr, als am Inn sind hier Radler unterwegs, häufig auch größere und manchmal geführte Gruppen. Die haben dann entweder alle die gleichen Räder, die gleichen Pack- oder Lenkertaschen oder sind mit den gleichen Radwesten ausgestattet. Doch auch die einzelnen Radler haben kaum mehr, als Tagesgepäck dabei. Auch hier scheint das Geschäft mit buchbaren Gepäcktransport zu florieren. Überhaupt ähneln die Donauradler sehr den Pilger auf dem Jakobsweg. Am Nachmittag ist der Weg schlagartig verlassen und wir sind, abgesehen von ein paar Anwohnern fast allein und am nächsten Morgen herrscht wieder emsiges Gewusel. Natürlich hört man auch hier hin und wieder das Surren der E-Bikes, wenn sie an einem vorbeidüsen. Den vielen Biergärten und Unterkünften werden jetzt in der Hauptsaison ganz sicher zahlreiche zahlende Gäste beschert. Doch auch sonst gibt es entlang der Strecke viele Möglichkeiten, um auf kleinen Rastplätzen oder Bänken zu verweilen. Tafeln informieren einen über Strecke und Umgebung und - man staune - in regelmäßigen Abständen gibt es Wasserhähne. Das ist in Deutschland echt eine Seltenheit.
Auf dem Fluss herrscht dichter Schiffsverkehr. Vor den Schleusen müssen die Kähne manchmal sogar Schlange stehen. Auch in den Nachtstunden sind hell erleuchte Kreuzfahrtschiffe unterwegs zum nächsten Zielhafen. Fast über jedem kleinen Ort thront eine kleine alte Burg. Mal hübsch restauriert und mal nur noch als Ruine. Vorbei an Linz und Grein erreichen wir die Wachau - das Weinanbaugebiet entlang der Donau. Doch nicht nur Wein gedeiht hier in Hülle und Fülle, auch viele Äpfel u. ä. warten schon fast reif hinter gut gesicherten Zäunen auf die Ernte.
Gespannt nähern wir uns Wien und werden enttäuscht. Von unserem (linken) Flussufer aus ist kaum etwas von der Stadt zu sehen. Nur ein paar Neubauwohnanlagen und jede Menge "hässliche" Brücken. Ein Stück verläuft der Weg auch wieder einmal direkt neben der Autobahn. Jedoch gibt es auch ein paar größere Parkanlagen und sogar mit öffentlichen Grillplätzen. Die sehen erstaunlicherweise weniger mitgenommen aus, als die Dresdner Elbufer nach einem lauen Sommerabend. Vor und nach der Stadt sind ein paar Uferbereiche als FKK-Zone ausgeschildert und werden auch entsprechend von Sonnenbadern benutzt - direkt neben dem Radweg!? Prüde sind sie scheinbar nicht, die Österreicher.
Hinter Wien ist die Welt zu Ende - es sind viel, viel weniger Radler unterwegs. Für die Meisten wird Wien Endstation gewesen sein. Doch die Wenigen sind augenscheinlich mit viel mehr Gepäck unterwegs. Hier trennt sich also die Spreu vom Weizen, bzw. die Kurzurlaubs- von den Langstreckenradlern.
Wir nähern uns der slowakischen Grenze und Bratislava. Doch am letzten Abend an der Donau beschert uns Österreich noch eine Überraschung. Mitten in einer, heldenhaft vor dem Bau einer Stauanlage bewahrten Auenlandschaft, hat man am Ufer eine in unseren Augen überdimensionierte Aussichtsterrasse errichtet. Was in Westeuropa fast undenkbar und für uns von Bedeutung ist, ist jedoch die kleine Wiese drumherum, die einfach so zum Zelten freigegeben ist. Nicht mal eine Handvoll Camper, meist Radler oder Wochenendbadegäste nutzen die Möglichkeit. Und so verstoßen wir in unserer letzten Nacht in Österreich mal nicht gegen das hier strenge Wildzeltverbot. Am nächsten Tag nehmen wir dann unsere Radel und sagen Servus, Österreich!