22. März - 9. April 2017
M'hamid - Zagora - Tinghir - Midelt - Fes
Geradelte Strecke: 958 km (Insgesamt 1770 km)
M’hamid ist nur als Basislager für ein- oder mehrtägige Wüstentouren von Bedeutung, ansonsten hat der Ort nicht viel zu bieten und so machen wir uns schon bald auf die Weiterfahrt, wenden uns entlang dem Tal des Draa Richtung Norden und verlassen die südliche Wüstenregion Marokkos.
Dann passiert es. Der erste Plattfuß auf dieser Reise macht zischend auf sich aufmerksam. Eigentlich ist es ein Wunder, dass er so lange auf sich warten ließ – bei den vielen Monsterdornen, die abseits der Straßen, wenn wir auf Lagerplatzsuche sind, auf ihre Opfer warten. Ja, da können selbst die besten Unplattbarreifen nicht widerstehen. Doch der Schaden lässt sich schnell beheben und wir steuern die Provinzhauptstadt Zagora an.
Die prächtige weit ausgebaute und von mächtigen Laternen überragte Hauptstraße, kurz vor den Toren der Stadt, ist an sich nichts Bemerkenswertes, denn mit einer solchen versuchen sich viele Orte des Landes zu schmücken. Dennoch hat sie eine Besonderheit zu bieten. Sie hat nämlich einen extra asphaltierten Randstreifen, der reserviert ist für Esel und Drahtesel – also auch für uns. Außerdem endet sie nicht, wie die meisten, bei Erreichen der ersten Häuser und wird wieder zu einer ganz normalen Straße, sondern führt so beeindruckend bis ins Zentrum der Stadt hinein.
Dies ist zur Mittagszeit, wenn die Schulen geschlossen sind und die Gläubigen von ihrem Mittagsgebet heimgekehrt sind, sehr verlassen. Nur ein paar Restaurants harren träge auf evtl. hungrige Touristen. Das ist sicher ein Überbleibsel aus der Zeit, als hier die Franzosen und Spanier bis vor etwa 50 Jahren noch das Sagen hatten. Siesta muss sein! Sie beginnt, wenn die Sonne am höchsten steht und endet erst, wenn diese sich dem Horizont nähert. Dann öffnen sich auch die vielen kleinen Verschläge entlang der Straßen und hervor kommen verschiedene Miniläden und Werkstätten. Manchmal kann man in die Läden ein zwei Schritte hinein machen, oft steht man aber schon an der Tür vor einer Art Verkaufstresen und dahinter gruppieren sich ein paar Regale die bis an die Decke hoch, mal mehr und mal weniger gut, bestückt sind. Und dann beginnt für uns, mit Hilfe von Händen und Fingern, das Einkaufen. Gelingt es uns nicht das Passende zu bekommen, geht man eben zum nächsten Laden, der in größeren Orten meist gleich nebenan ist. Die einfachen kleinen Restaurants und Cafés sind auch von den Einheimischen gut besucht, die sich hier zu einem Tee treffen oder auch einer Fußballspielübertragung aus Europa mit Eifer folgen. Jedoch sind die Anwesenden fast ausschließlich Männer. Häufig ist Petra die einzige Frau, außer es sind noch andere Touristinnen in der Nähe. Scheinbar nimmt aber niemand daran Anstoß.
Unsere Unterkunft befindet sich in einer kleinen typisch marokkanischen Nebengasse, in die sich ohne vorherige Buchung wahrscheinlich kein Tourist verirren würde und wir genießen dort einen entspannten Ruhetag, ehe es weiter geht.
Nach „Timbuktu 52 Tage“ verkündet das berühmte Schild an der Hauptstraße – quer durch die Sahara bis ins heutige Mali, vermutlich auf Kamelen, aber das liegt nicht in unserer Richtung. Hinter Zagora wird das bisher nahezu ausgetrocknete Bett des längsten Flusses Marokkos, zu einem grünen und fruchtbaren Band. Wir benutzen extra kleine Nebenstraßen, um ihm ganz nahezukommen. Ein wirklich großer Fluss ist der Draa zwar auch hier nicht, aber sein Wasser scheint auszureichen um die Ufer zu einer sehr langen Oase zu machen. Mit viel Handarbeit gedeiht auf kleinen Feldern verschiedenes Gemüse und Getreide. Riesige Palmen spenden Schatten und bewahren den, mit Hilfe eines ausgeklügelten Kanalnetzes bewässerten, Boden vorm Vertrocknen.
Außerdem scheint gerade großer Waschtag am Fluss zu sein, denn überall an den Kanälen hocken Scharen von Frauen und reinigen mit bloßer Muskel- und Wasserkraft nicht nur Kleidung, sondern auch riesige Decken und Teppiche, die danach auf Büschen und Mauern getrocknet werden. Wenn bisher Petras Sehnsucht nach ihrer Waschmaschine noch im Rahmen war, wird sie bei diesem Anblick unermesslich groß. Für diese Frauen ist es wahrscheinlich unvorstellbar, in welchem Luxus man anderorts lebt und man selber schämt sich fast für das Privileg, ein komfortverwöhntes Leben führen zu dürfen.
Einen Radeltag nach Zagora verlassen wir den Flusslauf und biegen nach Nordosten ab. Die Todra-Schlucht im Hohen Atlas ist unser nächstes Ziel. Sie zählt neben der benachbarten Dades-Schlucht zu den landschaftlichen Höhepunkten im Süden Marokkos. Bei unserer Reise vor drei Jahren haben wir uns damals für die Fahrt durch die Dades-Schlucht entschieden und sind nun auf das Nachbartal gespannt.
So erreichen wir drei weitere Tage später Tinghir, eine größere Stadt vor den Toren der Todra-Schlucht. Von hier aus unternehmen die meisten Touristen ihre Ausflüge in die Schlucht und dementsprechend trubelig ist es im Zentrum. Doch Mathias ist nach etwas ganz bestimmten auf der Suche. Er geht einer Information aus dem Internet nach, wonach es in der Stadt einen Laden mit Bierangebot geben soll. Und tatsächlich: der Laden hat zwar ein recht dürftiges Angebot, doch unter der Ladentafel werden die alkoholischen Waren gelagert. Da können wir natürlich nicht widerstehen und so setzen wir mit vollen Taschen unsere Fahrt hinein in die Schlucht fort.
Ein recht steiler Anstieg bringt uns hinauf und anschließend wieder hinab an die Todra. Die Schlucht ist zunächst sehr besiedelt und bietet zahlreiche Unterkunfts- und Einkehrmöglichkeiten. Die ockerfarbenen bis zu 300 m hohen steilen vegetationslosen Felswände und die grünen Palmen im Talgrund bieten ein schönes Panorama. Auch ein beliebtes Ziel für Klettersportler. Ca. 15 km taleinwärts haben wir ein Zimmer in unmittelbarer Nähe der berühmten Engstelle gebucht und lassen dort an einem Ruhetag die Umgebung und das erste Bier nach vier Wochen Abstinenz auf uns wirken.
Dann machen wir uns an die Durchfahrt der Schlucht. Die spektakuläre Engstelle ist nur wenige hundert Meter lang und die etwa 10 m Breite teilt sich die Straße mit einem kleinen Bach. Die meisten Besucher wagen sich zu Fuß nur wenige Meter weiter in die Schlucht hinein. Hier versammelt sich dann auch alles: Busse, Touristen und Straßenhändler. Doch nur wenige Pedaltritte weiter ist man in der schönen Landschaft fast allein. Nur wenige scheinen sich die gesamte Durchfahrt zu trauen. Die Straße führt in gleichmäßiger Steigung entlang des, hier fast trockenen, Flussbettes bergan. Schon bald weidet sich das Tal und nach reichlich 30 km geht es steil wieder hinaus aus der Schlucht. Zusammenfassend können wir berichten das die Todra-Schlucht sicher einen Besuch wert ist, aber in der benachbarten Dades-Schlucht hat es uns letzten Endes doch besser gefallen.
Den nächsten Ort auf dem kargen Hochplateau - Ait Hani - kennen wir schon von unserer letzten Tour. Von hier werden wir nun einige Kilometer der damaligen Route durch den Hohen Atlas folgen und überqueren somit einen Tag später schon zum zweiten Mal den Tizi-n-Tirherhouzine in 2700 m Höhe. Die Straße windet sich stellenweise sehr steil durch eine karge Landschaft, doch wir sind froh, dass unsere Befürchtungen, dass hier auf Grund der zeitigen Jahreszeit noch Schnee liegt, sich nicht bewahrheiten.
Nach einer mäßig spannenden Abfahrt erreichen wir Agoudal. Der Ort und seine penetrant bettelnden Kinder sind in unseren Erinnerungen noch sehr erhalten – und es hat sich nichts geändert. Sofort sind wir umringt von einer großen Schar und unsere anfangs noch netten Abwehrversuche werden vehement ignoriert. Man beginnt an den Fahrrädern herumzuzerren und Sachen unter den Spanngurten hervorzuziehen. Das wird uns zu bunt und wir suchen gefrustet und unverzüglich das Weite. Auf unserer bisherigen Fahrt ist es schon hin und wieder vorgekommen, dass Kinder am Straßenrand um Bonbons oder Stilos (Kugelschreiber) gebettelt haben, aber so massiv ist es uns nur in dieser Gegend passiert und wir fragen uns, wie es nur dazu kommen kann. Fahren hier wirklich alle Touris mit Taschen voller Bonbons und Stilos durch das Land. Ist es das, was wir als Reisende der Bevölkerung rüber bringen wollen? Es ist uns schon bewusst, dass wir hier auch von Armut und Not umgeben sind, doch auch, dass man mit dem Verteilen von Süßkram bestimmt nichts dagegen ausrichten kann. Ganz sicher haben die Verteiler nicht für jedes Kind im Dorf einen Bonbon dabei – ein paar werden leer ausgehen und wie praktisch, wenn man dann schnell die Fenster wieder hoch fährt und Gas geben kann, ehe man in die enttäuschten Gesichter blicken muss, deren Besitzer womöglich mit Steinwürfen reagieren. Gern hätten wir im Ort etwas eingekauft, evtl. einen Tee getrunken, um somit vielleicht etwas geben zu können, aber das war unter diesen Umständen unmöglich. Natürlich zeigen wir uns bei Hilfeleistungen dankbar und auch wir geben hin und wieder bettelnden Erwachsenen etwas, aber niemals Kindern. Sie sollen nicht von den Familien dafür ausgenutzt werden. Wir geben uns wirklich Mühe und reagieren auf jedes freudige Winken und Zurufen freundlich, doch solche Begebenheiten verunsichern uns in unserem Umgang mit der Bevölkerung sehr. Nun, zum Glück normalisiert sich wenige Orte später die Situation dann wieder und uns wird wieder bewusst, dass Marokko dennoch ein schönes Reiseland ist und seine eigentlich sehr nette Bevölkerung den Aufenthalt sehr angenehm macht, gerade für uns, die wir so nah am wirklichen Leben hier dran sind.
Die nächsten Nächte im Hohen Atlas werden kalt. Am Tag wärmt die Sonne von einem meist strahlend blauen Himmel und das nun schon ununterbrochen, seit Beginn der Reise, doch in dieser Höhe müssen wir nachts schon tief in unsere Schlafsäcke kriechen und kommen erst, wenn die ersten Sonnenstrahlen das Zelt erreichen wieder hervor.
Wir passieren die Bergoase Imilchil und gelangen unverhofft an die Ufer eines idyllischen Bergsees (Lac Tislit). Ein echter See in dieser Gegend ist schon was Besonderes und danach gibt es auch noch eine herrliche Abfahrt durch ein enges Tal obendrauf.
In einem großen östlichen Bogen, auf abgelegenen Straßen, durch die nördlichen Ausläufer des Hohen Atlas, setzen wir unsere Fahrt Richtung Fes fort, um so dem Verkehr zwischen den großen Städten im Landesinneren zu entkommen. Zeit haben wir ja, warum also nicht.
Die Landschaft zieren jetzt zunehmend mehr Bäume, Palmen gibt es nicht mehr, hauptsächlich Nadelbäume, aber auch immer mehr Obstbäume, die sich noch mit Frühlingsblüten schmücken. Wir befinden uns im Apfelgebiet Marokkos. Hoch oben auf den Berggipfeln sind noch letzte Schneereste des vergangenen Winters zu sehen. In den kleinen abgelegenen Orten fallen die Minisolaranlagen an den Häusern auf. Selbst die kleinste Hütte hat eine. Ein Zeichen davon, dass Marokko es sich zum Ziel gesetzt hat, jedem Zugang zu Wasser und Strom zu ermöglichen. Wie abgelegen die Gegend ist, zeigt sich, dass in den Orten die Kinder uns nur aus der sicheren Entfernung beobachten. Hier kommt offensichtlich kaum ein Tourist vorbei.
Wir erreichen Tounfite, seit längerem mal wieder einen etwas größeren Ort. Doch bevor wir als nächstes Midelt ansteuern, machen wir noch einen Umweg zum Bergkessel Cirque de Jaffar und vorbei am über 3700 m hohen Djabal Ayachi. Hier sind nur ein paar wenige Offroadfahrer unterwegs, denn es geht auf einer meist unbefestigten und kurvigen Piste durch eine wilde Hochgebirgslandschaft, mit tollen Ausblicken auf den Bergkessel. Der Schnee auf dem Djabal Ayachi scheint zum Greifen nah. Nachdem es Mathias gelungen ist einen wasserführenden Bach aufzuspüren, um unsere Wasservorräte aufzufüllen, verbringen wir noch eine Nacht im ausgetrockneten Flussbett des Oued Jaffar. Dann düsen wir nach Midelt und lassen den Hohen Atlas hinter uns.
Die in über 1500 m Höhe gelegene Bergwerksstadt ist ein Handelszentrum für Mineralien und ein Durchgangsort für Touristen. Wir können erfolgreich den Händlern widerstehen und verzichten auf den Kauf eines Teppichs oder von Fossilien und Gesteinen. Stattdessen genießen wir lieber eine herrliche Dusche.
Bevor wir am nächsten Tag unsere Fahrt nach Fes fortsetzen, werden nach nunmehr 1500 geradelten km die Ketten gewechselt. Drei Tage haben wir für die kommenden reichlich 200 km eingeplant. Nach etwa 40 km auf der recht befahren Hauptverbindung zwischen den zwei Städten, können wir auf Nebenstraßen abbiegen. Doch die Gegend ist endlos eintönig. Viele Kilometer geht es schnurgerade aus, an wenigen Ansiedlungen vorbei, dann eine kleine Kurve und wieder endlos gerade aus. Es ist leicht ansteigend und der Wind hilft nicht beim vorwärts kommen. Die Lagerplatzsuche gestaltet sich schwierig, doch es findet sich ein Plätzchen in einem kleinen Steinbruch gleich neben der Straße, wo wir uns nach einem langen Radeltag, geschafft und unter den neugierigen Blicken der Hirten, die mit ihren Herden auf dem Heimweg sind, niederlassen. Der nächste Tag ist etwas einfacher, es geht so nach und nach hinab. Ein paar Anstiege bleiben uns dennoch nicht erspart. Doch es wird zunehmend grüner und es gibt wieder dichtere Besiedlung und landwirtschaftliche Nutzflächen, so haben wir auch an diesem Abend Mühe einen Lagerplatz zu finden und kommen der nächsten Stadt schon ungewollt sehr nahe. Ein Nadelwäldchen gewährt uns dann doch noch ein nettes Plätzchen für die Nacht.
Nur noch reichlich 40 km bis nach Fes und die rollen wir völlig entspannt. Es geht fast nur bergab, vorbei an vielen Olivenhainen. Die Straße ist in jede Richtung zweispurig und bietet, trotz fehlendem asphaltiertem Randstreifen, genug Platz, für den immer mehr zunehmenden Verkehr. Gegen Mittag schon erreichen wir die Millionenstadt und vertreiben uns im McDonald’s die Wartezeit, bis wir in unser gebuchtes Zimmer einziehen können. Es ist Sonntag und der Laden von kinderreichen Familien bevölkert. Welch ein Kontrast zu den vorherigen Tagen in der abgelegen Bergwelt des Landes. Dann geht es in die engen Gassen der Altstadt hinein. Wir kennen sie bereits, ansonsten hätte man wahrscheinlich erstmal einen kleinen Kulturschock zu verarbeiten. Wir kommen im Wohnhaus einer Familie, die zwei Zimmer vermietet gut unter und richten uns auf ein paar entspannte Tage ein.