31. Januar - 13. Februar 2020
Chahuites - Juchitan - Mitla - Oaxaca
Geradelte Strecke: 458 km (Insgesamt 3007 km)
"Bienvenidos a Oaxaca" (Willkommen in Oaxaca) - So verkündet überschwänglich ein riesiges Schild über der Straße und damit haben wir nun den südöstlichsten mexikanischen Bundesstaat Chiapas verlassen und fahren in den nächsten hinein.
Vor uns liegt jetzt der schmalste Teil von Mexiko, der Isthmus von Tehuantepec. Hier beträgt die Entfernung zwischen dem Golf von Mexiko im Norden und dem Pazifik im Süden gerade mal um die 200 km. Zudem sind wir ab sofort, geografisch gesehen, nun nicht mehr in Mittelamerika, sondern in Nordamerika unterwegs. Es fühlt sich aber nicht wirklich anders an.
In San Pedro Tapanatepec müssen wir eine Entscheidung treffen. Nehmen wir für die Weiterfahrt die große Bundesstraße 190 oder benutzen wir kleinere Nebenstraßen bzw. Pisten? Wir entscheiden uns für die Nebenstrecke, denn wir wollen Mexiko nicht nur von Fernverkehrsstraßen aus kennenlernen. Die ersten Kilometer geht es noch sehr entspannt auf einer ruhigen Asphaltstraße durch Farmland mit unzähligen Mangobäumen. Sie hängen proppevoll mit Früchten und scheinen unter der Last fast zusammenzubrechen. Leider sind wir etwas zu früh dran, denn die meisten Mangos sind noch grün. Schade!
Danach müssen wir uns weiter, auf zum Teil sandigen Pisten durchschlagen. Dennoch passieren wir immer wieder Siedlungen. Gleich zwei davon haben ein "San Francisco" im Namen - der Typ scheint hier ein recht beliebter Bestandteil von Ortsnamen zu sein. Als wir in einem der staubigen Orte einen Laden aufsuchen, werden wir sehr bedauert, in dieser Wärme unterwegs sein zu müssen. Nein, die derzeitige Hitze wäre hier nicht normal, denn eigentlich gebe es sonst mehr erfrischenden Wind.
Und da ist es gefallen - das böse Wort: VIENDO = WIND!
In den letzten Wochen hatten wir es schon fast vergessen, denn es war einfach nicht relevant, das heißt: Wir sind seit reichlich zwei Monaten fast windfrei unterwegs. - Ist das zu fassen? Doch hier sollen wir nun das gehasste Übel eines jeden Radlers wieder zu spüren bekommen.
Als wir am Abend in einem ausgetrockneten kleinen Flusstal campen, beginnt es in den Baumwipfeln über uns unheilvoll zu rauschen und heftige Böen schütteln an den Ästen. Noch können wir froh sein, an einem geschützten Plätzchen die Nacht verbringen zu können, doch am Morgen erwischt es uns dann voll. Diese Landenge von Mexiko ist geradezu berüchtigt für die hier herrschenden Winde, denn zusätzlich zur geringen Entfernung zwischen den zwei Küsten, hat hier, die das Land durchziehende Gebirgskette eine breite Lücke gelassen, und so können die Passatwinde ungehindert über das Land fegen und dabei Geschwindigkeiten von um die 100 Stundenkilometer erreichen.
Nun, ganz so schlimm erwischt es uns nicht. Doch die knapp 50 Stundenkilometer reichen schon aus, um uns das Radeln gehörig zu erschweren, denn natürlich weht der Wind von überall her, bloß nicht von hinten. Besonders unangenehm sind die heftigen Böen, während denen man aufpassen muss, nicht vom Rad gefegt zu werden. Wir kommen dem Pazifik sehr nah. Huamuchil ist aber der einzige Ort, wo wir mal einen kurzen Blick auf dessen aufgewühltes Wasser werfen können. Doch eigentlich ist es nicht mal der Pazifik, sondern nur eine riesengroße dazwischenliegende Lagune.
Die weitere Piste ist kaum befahren. Kein Wunder, denn auf einigen Abschnitten ist sie total zerfahren oder sehr sandig. Zum Glück geht es recht eben dahin, im Zickzack zwischen kahlen Hügeln hindurch und vorbei an karger, fast wüstenartiger Landschaft. Der Wind jault ohne Pause. Wir steuern auf unzählige Windräder zu. Hunderte oder vielleicht auch Tausende drehen sich im Akkord. Klar, einen idealeren Ort für derartige Anlagen gibt es wohl nicht. Doch stoßen die riesigen Windparks, vor allem bei der hier wohnenden indigene Bevölkerung, aus verschiedenen Gründen, nicht auf helle Begeisterung, denn unter anderem musste dafür auch viel fruchtbares Agrarland weichen.
Am Ende des Tages erreichen wir, gut durchgelüftet und mit einer dicken Dreckschicht bedeckt, auf einer löchrigen Asphaltstraße Juchitán de Zaragoza, eine der größeren Städte des Bundesstaates. Die Ränder der Zufahrtsstraße sind unglaublich vermüllt. Wir haben schon zuvor bemerkt, dass Mexiko unübersehbar seine Probleme mit der Entsorgung von Müll hat, doch was wir hier zu sehen bekommen, ist schon krass. Das Zeug liegt weitverstreut in der Gegend herum. Auf den Weiden stehen Kühe umgeben von Abfall und in den Zäunen flattern Plastiktüten, wie endlos lange bunte Girlanden, heftig im Wind. Vielleicht ist der Wind auch die Ursache für diese ausufernde Verunreinigung, denn kurz vor der Stadt passieren wir eine große Mülldeponie, deren Inhalt womöglich sich in der Umgebung ausgebreitet hat.
Auch Juchitán zeigt sich nicht sehr ansprechend, grau und trist. Im dichten Verkehrsgewühl fahren wir, auf der Suche nach einer Unterkunft eine ganze Weile genervt kreuz und quer herum. Erst als wir das Zentrum verlassen, haben wir Erfolg und finden ein bescheidenes Zimmer. Vor zweieinhalb Jahren wurde die Region von einem heftigen Erdbeben erschüttert, von dem auch die Stadt schwer betroffen war. Klar, dass dabei die Infrastruktur gehörig in Mitleidenschaft gezogen wurde und die Auswirkungen noch immer zu spüren sind. Die Besonderheit an dieser mexikanischen Stadt, nämlich dass in Juchitán die Frauen das Oberhaupt der Familie sind und das Sagen in der Stadt haben sollen, bemerken wir hingegen aber nicht wirklich. Doch immerhin ist Juchitán auch in Deutschland durch das Buch "Juchitán – Stadt der Frauen" bekannt geworden - also muss doch was dran sein?
Draußen vorm Hotel weht ununterbrochen nach wie vor der Wind weiter heftig ums Haus und fegt durch die Straßen. Ein Wunder, dass einem nicht irgendwelches Zeug um die Ohren fliegt, vor allem angesichts der vielen mobilen Straßenverkaufsbuden. Aber offensichtlich ist man hier auf solche stürmischen Naturelemente eingestellt und hat entsprechende Vorkehrungen getroffen. Die Angestellte des kleinen Hotels meint, dass etwas Wind hier zwar normal ist, aber nicht solch heftiger. Wir verbringen also abwartend eine Art Ruhetag in unserem kleinen, etwas düsteren Zimmer und hoffen, dass die Wettervorhersage, die ein Nachlassen der Windstärke ankündigt, recht hat. Ein Tag Pause ist zudem auch ganz gut, denn vor uns liegt nun eine richtig anspruchsvolle Strecke. Das diese aber so richtig extrem anstrengend und sehr mühsam werden wird, ahnen wir jedoch noch nicht wirklich.
Ab hier könnten wir wieder auf der großen MEX 190 weiter nach Oaxaca fahren. Dies ist die von den meisten Radlern benutzte Route. Doch wir entscheiden uns, eine andere Strecke, auf kleinen Nebenstraßen durch die Berge zu nehmen. Die ersten 20 Kilometer geht es noch entspannt und flach dahin. Der Wind hat tatsächlich deutlich spürbar an Kraft verloren. Zudem verlassen wir das windgeplagte Flachland und fahren immer weiter hinein in die Berge von Oaxaca. Der Verkehr lässt rasch nach und es wird immer einsamer.
Am zweiten Tag passieren wir Gueva de Humboldt. Die Berge ringsherum sind mittlerweile deutlich höher und auch schroffer geworden und die Vegetation wieder deutlich grüner. Bald darauf verlassen wir die asphaltierte Straße und folgen ab nun einer holprigen Piste. Eine kappe Woche geht es nun in einem ständigen Auf und Ab durch die Berge und wir pendeln dabei munter zwischen 1000 m und 2500 m Höhe. Die Vegetation ändert sich ständig: Eben noch sind die Berghänge mit trockenem Pinienwald bedeckt und nach der nächsten Kurve und ein Tal weiter sind wir mitten im feuchten Regenwald.
Auf halbem Weg stoßen wir auf die "Trans Mexiko Bikepacking Route" (Nordabschnitt, Südabschnitt). Dass es diese überhaupt gibt, haben wir erst vor Kurzem im Internet in Erfahrung gebracht. Sie ist nicht ausgeschildert oder anderweitig markiert, sondern nur eine in Radlerkreisen bekanntgewordene Radelstrecke, die fernab der Hauptstraßen, über mehr als 3000 km durch Mexiko verläuft, dabei abgelegene ländliche Regionen durchquert und dennoch einige interessante Städte und Sehenswürdigkeiten des Landes verbindet. Da sie meist über unbefestigte Straßen und Wege verläuft und auch teilweise ein extremes Höhenprofil bietet, ist die Route eigentlich eher für die leichter bepackten Bikepacking Radler gedacht, als für solche, wie uns, die mit voll beladenen Rädern unterwegs sind. Doch da die Route auch schon andere auf diese Art gemeistert haben, stellen wir uns der Herausforderung.
Die Lehmpiste ist in unterschiedlichem Zustand: Manchmal einigermaßen festgefahren und dann gut fahrbar, wenn die Steigung es erlaubt. Oft ist sie aber auch sehr zerfahren und holprig. Nach längeren Regenfällen möchte man sich dem dann aufgeweichten Lehm lieber nicht anvertrauen. An einigen wenigen Stellen kann man auch jetzt, bei fast durchgängigem sonnigen und trockenen Wetter, erkennen, welche eingefahrenen matschigen Spurrinnen einen dann erwarten. Zudem zeugen die Hinterlassenschaften von einigen früheren Erdrutschen, welche zerstörerischen Gewalten hier ab und zu herrschen.
Oft müssen wir uns steile Anstiege teils schiebend nach oben quälen und die Abfahrten sind aufgrund des schlechten Untergrundes auch keine Entspannung, denn ohne kräftiges Abbremsen ist da nichts zu machen. Wir kommen nur langsam vorwärts, schaffen an manchen Tagen eine Durchschnittsgeschwindigkeit von kaum mehr als 6 km/h und haben nach 5/6 Stunden Schwerstarbeit am Ende des Tages gerade mal reichlich 30 km auf dem Tacho. Das ist frustrierend, aber wenn man sich mental darauf eingestellt hat, wird es leichter.
Trotz der Widrigkeiten, pendeln zwischen den Orten Fahrzeuge hin und her. Die Aufgabe der sonst im Land üblichen kleinen Minibusse für den Nahverkehr, wird hier durch geländegängigere Pick-ups bewältigt, auf denen man sicher nicht unbedingt bequem befördert wird, sondern ziemlich durchgeschüttelt sein Ziel erreichen dürfte. Doch, wie schon erwähnt, nach stärkeren Regenfällen dürfte so mancher Ort eine Weile auch mal nicht erreichbar sein.
In unterschiedlichen Abständen passieren wir Orte. In den etwas größeren Tallagen, können diese auch schon mal kurz aufeinanderfolgen, doch meist liegen sie vereinzelt in größeren Abständen entlang der Piste. In dieser scheinbar abgelegenen und schwer zugänglichen Region würde man ja eigentlich höchstens mit ein paar kleinen verschlafenen Bergbauerndörfern rechnen, aber weit gefehlt. In den Orten geht es erstaunlich lebhaft zu. Es gibt eine umfassende Infrastruktur. Scheinbar alles ist vorhanden: Schulen, Krankenstation, teils imposante Gemeindehäuser, ausreichend Läden, die üblichen überdachten großen Marktplätze, die auch anderweitig, wie z.B. als Ballspielplatz genutzt werden und natürlich auch eine oft prunkvolle Kathedrale, die von einer Erhebung über den Ort sich erhebt. Natürlich hat alles mexikanischen Standard und ist nicht mit europäischen Lebensgewohnheiten zu vergleichen. In vielen scheint ein richtiger Bauboom ausgebrochen zu sein, denn da wird fleißig gemauert und gehämmert. Doch die meisten der Neubauten scheinen nicht über der Rohbau hinaus zu kommen oder verharren halb fertig.
Der Ort San Miguel Quetzaltepec fällt, gegenüber den bisher Durchfahrenen, etwas aus der Reihe. Man könnte ihn eigentlich eine Stadt nennen, die hoch oben an einem lang gestreckten Berghang klebt. Als wir den Ort verlassen und es mal wieder steil bergab geht, erwartet uns zur Überraschung eine auf besondere Art betonierte Straße. Doch nur für kurze Zeit, denn nach nur wenigen Minuten Abfahrt finden wir uns plötzlich in einem eifrigen Gewusel wieder. Gefühlte hundert Leute arbeiten emsig, wie die Ameisen, an der Fortsetzung der Betonstraße. Hier erfolgt alles in Handarbeit, selbst das Mischen des Betons für die Fahrbahn geschieht nur mit Schaufeln. Na dann, viel Erfolg! Ehe der Baufortschritt unten im Tal ankommt, werden wohl noch Jahre vergehen und dann ist im oberen Abschnitt wohl schon wieder ein Neubau fällig. Aber das muss man schon sagen, fleißig sind sie, die Mexikaner! Fast überwiegend sieht man sie geschäftig mit irgendwas beschäftigt.
Jedoch hier in der Region können wir die Mentalität der indianischen Einwohner nicht so richtig einordnen. Anders, als bisher gewohnt, begegnet man uns sehr, sehr zurückhaltend. Viel mehr Reaktion, als eine kurze Erwiderung auf unser Grüßen, bekommen wir kaum. Auch auf Fragen unsererseits wird nur kurz und knapp geantwortet oder mit einer Geste reagiert. Man kann sich gut vorstellen, dass das Auftauchen von Auswärtigen und erst recht von solchen, wie uns, etwas nicht Alltägliches sein dürfte. Doch ihre eventuelle Verwunderung darüber lassen sie sich absolut nicht anmerken. Selbst die Kinder, schauen höchstens mal scheu aus den Augenwinkeln zu uns herüber.
Nach einer Abfahrt erreichen wir unten im Tal ein weiteres kleines Dorf - San Juan Bosco Chuxnaban. Kurz davor kommen uns mitten auf der Piste fünf junge Männer entgegengelaufen. Allein diese Tatsache lässt den Adrenalinpegel schon mal etwas ansteigen. Doch das ist noch nicht alles, denn alle sind unübersehbar bewaffnet und zudem auch noch mit richtigen Maschinengewehren. Bewaffnete Polizisten oder anderes Sicherheitspersonal ist man hierzulande ja gewöhnt. Aber Zivilpersonen ....? Ausweichen können wir nicht, beidseits der Piste ist dichter Dschungel, steile Hänge und ein Fluss. Also fahren wir zügig weiter und grüßen mit einem hoffentlich freundlich und ungezwungen klingenden "Buenos Dias". Die Männer werfen sich schnelle Blicke zu, grüßen kurz zurück und lassen uns ziehen. Puh! Trotzdem sehen wir zu, schnell an Boden zu gewinnen. Ein komisches Gefühl im Bauch bleibt.
Wir radeln weiter und sind schnell in besagtem Ort. Auffallend ist das große massive Tor am Ortseingang. Im Moment steht es aber weit offen. Nun passiert etwas, womit wir in diesem Moment am wenigsten gerechnet hätten: Vor einem der ersten Grundstücke spricht uns ein junger Mann an und bittet uns doch mit ins Haus zu kommen und einen Kaffee zusammen zu trinken. Wir sind vom eben Erlebten noch etwas verunsichert, doch wollen wir nicht unhöflich sein und folgen ihm.
Das Haus besteht eigentlich nur aus ein paar Grundmauern und nur ein Raum sowie die Küche haben ein notdürftiges Dach. Doch René und seine Frau Bersilai, mit ihren zwei kleinen Söhnen, geben sich wirklich Mühe uns zu bewirten und sind echt an uns interessiert. René spricht sogar etwas Englisch und so entsteht eine Konversation mit Englisch und Spanisch, Händen und Füßen. Die Muttersprache dieser Leute ist eigentlich Mixe, eine indigene Sprache, die hier im Hochland verbreitet ist. Wir erfahren, dass zwar in den Schulen Spanisch gelehrt, aber innerhalb der Familien ausschließlich Mixe gesprochen wird. Nun können wir vielleicht erahnen, warum man uns in dieser Region so zurückhaltend begegnet - man fürchtet sich womöglich, sich nicht mit uns verständigen zu können. Wer weiß? René spricht diese Tatsache auch an. Er weiß, dass die Bewohner sich davor scheuen, mit Fremden zu sprechen, und findet das nicht richtig. Daher auch seine prompte Einladung an uns. Wir erfahren einiges über das einfache Leben hier, in diesem abgeschiedenen Bergtal. Das tropische Klima ermöglicht den Anwohnern eine ausreichende Ernte auf ihren kleinen Feldern und Plantagen, um sich selbst zu ernähren. Einiges davon bekommen wir gezeigt und dürfen probieren, wie Bananen und leckere Papayas. Auch der Kaffee ist eigene Ernte und wir bekommen sogleich einen kleinen Beutel abgefüllt.
Auch während wir uns bei der netten Familie aufhalten, kommen immer mal wieder kleine Gruppen die Straße entlang, die das Aussehen einer Patrouille haben. Und wir sollen uns nicht täuschen, denn nun erfahren wir auch den Grund dafür. Zwischen diesem Dorf und der benachbarten, von uns zuvor durchfahrenen, Gemeindehauptstadt San Miguel Quetzaltepec bestehen langwierige Streitigkeiten um Territorien und die ungerechte Verteilung von kommunalen Geldern. Aufgrund dieses Konfliktes hatte es auch schon Schießereien mit Toten gegeben. So sind sie eben leider, die Mexikaner. Wenn es Unstimmigkeiten gibt, versucht man diese eben auch mal mit Waffengewalt zu bekämpfen.
Wir sind froh, die Einladung angenommen zu haben, denn das Zusammentreffen war wirklich interessant. Herzlich werden wir von der kleinen Familie wieder verabschiedet. Im Dorfzentrum stoppen uns dann jedoch noch einige ältere Männer, die unbedingt unsere Pässe sehen wollen. Warum? Wir kommen nicht drumherum und müssen diese aus den Packtaschen hervorkramen. Doch wir bemerken sofort, dass offensichtlich keiner von ihnen wirklich in der Lage ist, um irgendwelche Informationen den Papieren entnehmen zu können, geschweige denn unsere Nationalität zu deuten. Wahrscheinlich will man sich nur wichtigtun, denn dass wir nichts mit ihren Kontrahenten zu tun haben können, hätte man doch auch so erkennen können. Na ja, hier ist eben Ausnahmezustand.
Beim Abschied hatte René noch bemerkt, dass in einer halben Stunde die Straße asphaltiert sein soll. Tatsächlich haben wir unerwartet, nach zwei oder drei Kilometern Bergauffahrt, wieder festen Fahrbahnbelag unter den Rädern. Und das Beste: Er bleibt uns die beiden letzten Tage in den Bergen erhalten. Auf so einer glatten Oberfläche kommen wir natürlich viel besser voran, als bei dem vorherigen Pistengehoppel. Auch die Steigungen erscheinen zunächst etwas gemäßigter.
Nachdem wir fast alle Tage perfektes Bergwetter genießen konnten: Angenehme Temperaturen und herrlichen Sonnenschein mit gutem Fernblick, stecken wir nun aber plötzlich in einer dicken Nebelschicht fest. Die Sichtweite beträgt manchmal nur wenige Meter und verleiht dem Ganzen ein unheimliches Flair. Das einzig Gute daran ist, dass wir uns am Abend keine Gedanken machen müssen, dass wir auf unserem notdürftigen Lagerplatz direkt an der Straße auffallen. Die Suche nach passenden Übernachtungsplätzen stellt sich in den Bergen nämlich als sehr schwierig heraus. Meist verhindern steile Hänge oder dichter Busch das Lagern. Die besten Möglichkeiten bieten noch die Ufer der kleinen Flüsse. Doch auch diese sind rar und so müssen wir zur Not auch mal mit einem Platz neben einer Müllkippe vorliebnehmen. In den Nächten fallen die Temperaturen, je nach Höhenlage, oftmals rapide auf unter 10 Grad ab. Am Morgen ist das Zelt meist klitschnass und es dauert, ehe die Sonne über die Berggipfel klettert und unseren Lagerplatz erreicht. Meist ist dann alles schon längst eingepackt und wir wieder unterwegs.
Nach einem trüben Tag ist jedoch die Sonne wieder da und wir blicken unter uns auf die geschlossene Wolkendecke in den Tälern. Auch schön! Ganz zum Schluss geht es noch einmal heftig bergauf. An manchen Abschnitten so steil, dass wir trotz gutem Asphalts nur schiebend vorwärtskommen und fast am Verzweifeln sind. Vielleicht liegt es auch daran, dass nach den harten Tagen in den Bergen unsere Kräfte langsam verbraucht sind.
Nach 6 anstrengenden Tagen und etwa 300 km durch die Berge erreichen wir in über 2000 m Höhe San Pedro y San Pablo Ayutla. In der großen Stadt herrscht ein buntes Gewimmel. Auf den Straßen wird Ware feilgeboten und gehandelt. Es gibt unzählige Läden mit allem Nötigen. Wir sind eindeutig wieder zurück in der richtigen mexikanischen Zivilisation. Auch die Menschen sind gleich wieder ganz anders drauf. Man grüßt freudig und wir werden angesprochen und ausgefragt. Am Abend findet sich endlich auch mal wieder ein richtig netter Platz zum Zelten und wir können den Feierabend mit einem Sixpack-Bier so richtig genießen. Doch nach Sonnenuntergang wird es schnell unangenehm kalt und als der Vollmond sich über die Berggipfel schiebt und die Lichter der Stadt an den gegenüberliegenden Hängen aufblinken, liegen wir schon eingemummelt in unseren warmen Schlafsäcken.
Ab nun sind wir wieder auf Hauptstraßen unterwegs. Auf dem weiteren Weg nach Oaxaca haben wir gleich zwei zur Auswahl: die mautpflichtige "Cuota" oder die freie "Libre"-Landstraße. Wir entscheiden uns für die "Cuota", in der Hoffnung auf ein etwas weniger anstrengendes Profil, denn Höhenmeter haben wir in den letzten Tagen genug geschruppt. Die Zufahrt ist etwas merkwürdig provisorisch, doch dann können wir uns zunächst auf dem fast leerem und sehr neuen Highway beim Hinabrollen entspannen. Dann verweisen Schilder, dass an der Straße gearbeitet wird, nichts deutet aber auf eine ausdrückliche Sperrung hin. Wir überlegen kurz, gehen dann aber das Risiko ein und fahren weiter. Komisch nur, dass ab nun so gar kein Auto mehr vorbei kommt. Doch das hat natürlich seinen Grund, denn bald erreichen wir ein kleines Tal, über dem noch eine Brücke fehlt. Nur die Pfeiler ragen aus dem Grund und man ist gerade dabei, den Kran aufzubauen, um die Längsträger aufzulegen. Auf der provisorischen Baustraße können wir den Abschnitt problemlos umfahren, bzw. umschieben, denn es geht steil hinunter und wieder hinauf. Die Bauarbeiter wundern sich zwar über unsere Aktion, halten uns aber nicht auf. Auf der anderen Seite warten viele Trucks, jeder mit einem langen Träger beladen. Da haben wir aber Glück gehabt, denn wenn man begonnen hätte, diese Kolosse mit dem Kran zu montieren, hätte es vielleicht keine Möglichkeit mehr gegeben, so ungeschoren vorbei zu kommen. Die weitere Straße ist nun aber komplett fertiggestellt und wir können entspannt den letzten 10 km langen Anstieg angehen. Dabei haben wir die Straße ganz für uns alleine. Erst viel später, an der nächsten Auffahrt kommt etwas Verkehr wieder herzu.
Vom Pass geht es dann hinunter in ein ebenes Tal und die Berge rücken weit auseinander. Es gibt mal wieder ein paar Kakteen zu sehen und auch viele kleine Agaven-Plantagen. San Pablo Villa de Mitla ist erreicht und wir sind wieder mittendrin in einem touristischen Gebiet. Der Ort ist bekannt wegen seiner Ruinen der Zapoteken, doch uns interessieren die alten Steine nicht, unser Streben gilt eher ein Hotel aufzuspüren. Wir finden auch eins, beziehen ein mäßig schönes Zimmer, aber genießen die schöne warme Dusche, nach den vielen Pistentagen, ausgiebig.
Die letzten 50 km nach Oaxaca rollt es flott, es geht leicht bergab. Das Tempo fühlt sich irgendwie komisch an, waren wir doch nun so viele Tage eher wie Schnecken unterwegs. Die Gegend wirkt trist und sehr trocken. Immer wieder Agavenfelder und die dazugehörigen Mezcal-Schnapsbrennereien, die zu Verkostungen und natürlich zum Verkauf einladen. Die Region von Oaxaca ist die Mezcal Hochburg. Eine in Deutschland bekannte Mezcal-Sorte ist der Tequila, dieser wird aber in einer anderen Region des Landes gebrannt.
Zehn Kilometer vor Oaxaca passieren wir das kleine Örtchen Santa María del Tule. Hier lockt ein besonderer Baum viele Besucher an. Der „El árbol del Tule“ - „Baum von Tule“ soll der dickste und einer der ältesten Bäume auf der Welt sein. Die mexikanische Sumpfzypresse ist von einem kleinen netten Park umgeben und überragt eine daneben stehende Kirche. Der Baumkoloss ist schon recht beeindruckend, doch der daraus entstandene Touristenrummel ebenso.
Wir rasten kurz und setzen unsere Fahrt fort. Völlig unerwartet entdecken wir einen Radweg auf dem wir bis hinein nach Oaxaca gelangen. Na das ist ja mal eine nette Abwechslung, mal wieder so etwas unter sich zu haben. Schnell tauchen wir so im Großstadtgewimmel von Oaxaca unter und beziehen dort eine gemütliche Unterkunft. Ein paar radelfreie Tage haben wir uns aber auch echt verdient.
Oaxaca de Juárez ist die Hauptstadt des gleichnamigen mexikanischen Bundesstaates, ist etwa halb so groß, wie Dresden und liegt in einem weiten Tal umgeben von Bergen. Oaxaca ist eine angenehme Stadt mit vielen Parkanlagen und Fußgängerzonen. Im historischen Zentrum säumen viele gut erhaltene Kolonialbauten die Straßen. Mittelpunkt der Altstadt bildet der Zócalo, die riesige Plaza. Sie wird gesäumt von Arkaden mit zahlreichen Restaurants und Cafés. Unter den großen Bäumen wimmelt es von Spaziergängern, fliegenden Händlern und einer schier unübersehbaren, gigantischen Anzahl an mobilen Schuhputzern. Man könnte ewig auf einer der vielen Bänke verweilen und dem Treiben zuschauen.
Ein weiteres touristisches Highlight der Stadt ist Monte Albán, die uralte Zapoteken-Hauptstadt und eine der bedeutendsten archäologischen Stätte von Mexiko. Die Anlage liegt auf einem der Hügel, etwa 400 Meter über der Innenstadt. Hoch geht es mit dem Shuttle Bus für Touristen. Der klapprige Bus bringt uns auf einer schmalen, kurvenreichen Straße hinauf. Die Anlage, der ehemaligen Kultstätte, ist sehr eindrucksvoll, bietet aber nichts wirklich Neues gegenüber dem, was wir schon gesehen haben. Etwas Besonderes ist die große Zahl von bearbeiteten Steinen, denen man auf dem weitläufigen Gelände begegnet. Zwei Stunden steigen wir tapfer die vielen unbequemen, steilen Treppen mit den hohen Stufen hoch und runter und genießen den weiten Ausblick auf die Stadt unten im Tal. Die Fahrt wieder hinunter ist dann doch etwas beängstigend. Diesmal sitzen wir auf der Seite zum Abhang. Auf der Straße ist kaum Platz für zwei Fahrzeuge, wenn sie sich entgegenkommen, und der Bus muss einige schwierige Brems- und Rangiermanöver einlegen. Wir sind echt froh, unten im Zentrum, wieder aus dem Bus steigen zu können.
Nach drei Ruhetagen in der Stadt schwingen wir uns wieder auf die Räder und setzen unsere Fahrt Richtung Norden fort.