18. Juli - 14. August 2018
Voss - Geilo - Vinstra - Röros - Stjördal - Steinkjer - Namsos - Grong
Geradelte Strecke: 1408 km (Insgesamt 2754 km)
Wenn man mit dem Fahrrad durch Norwegen reist, gehören die Kilometer auf dem Rallarvegen unweigerlich dazu - oder man kann nicht wirklich mitreden. Der Rallarvegen ist ein Teil der Nationalen Fahrradroute 4, die von Oslo nach Bergen, quer durch Südnorwegen, über die ansonsten weglose Hardangervidda führt, einer großen Hochebene in über 1000 m Höhe. Dieser Abschnitt wurde ursprünglich als Bahnarbeiterweg während der Bauarbeiten für die parallel verlaufende Eisenbahnverbindung angelegt und ist heute ein beliebter Wander- und Radweg.
Wir machen uns von Voss aus auf den Weg und radeln somit mal wieder gegen den Strom, denn die meisten Benutzer sind in entgegengesetzter Richtung unterwegs, da man sich so einige Höhenmeter ersparen kann, insbesondere, wenn man mit dem Zug anreist. Doch zunächst ist noch alles ruhig auf der Strecke. 40 km geht es stetig bergauf, von 50 m.ü.M. auf über 800 m. Noch rollt es auf Asphalt, vorbei an verstreuten Ferienhütten. Dann haben wir die Baumgrenze und die kleine Bahnstation Uppsete erreicht. Hier muss man für die Fahrt durch einen Tunnel den Zug benutzen - das einzige Stück auf dem Weg, das keine Umfahrung hat. Knappe 5 km vorm Bahnhof bremst uns ein Plattfuß an Petra's Hinterrad aus. Wie blöd ist das denn: in 30 Minuten fährt unser Zug, keine Zeit für Flickarbeit. Mit zwischenzeitlichem Aufpumpen und flottem Schieben schaffen wir es dennoch. Puh, was für ein Stress, dabei ist es noch früh am Morgen.
Dann der nächste Schock: der Zug rollt pünktlich heran, wir peilen die Tür mit dem Fahrradlogo an und als diese sich öffnet, tauchen 3 hohe Stufen dahinter auf! Wer hat sich denn das einfallen lassen? Hier wurde eindeutig nicht an die schwer bepackten Gepäckradler gedacht. Für Sonntagsradler sicher kein Problem, doch wir müssen ganz schön würschen, um mit Hilfe anderer Reisenden mühsam hinein zu gelangen. Nichtmal eine richtige Abstellmöglichkeit gibt es. Wir stehen mitten im Gang, des von Touristen reichlich gefüllten Zuges. Zum Glück dauert die Fahrt nur etwa 5 Minuten und wir werden mit all den anderen Mitfahrern in Myrdal wieder ausgespuckt. Hier kann nun auch die fällige Schlauchreparatur erfolgen.
Die meisten Zugmitfahrer nutzen den Bahnhof nur zum Umsteigen in die berühmte Flåmbahn. Mit über 800 Metern Höhenunterschied auf 20 Kilometer Strecke zählt sie zu den steilsten normalen Bahnstrecken der Welt. Nur eine kleine Schar macht sich mit dem Rucksack auf den Weg, mit Rad sehen wir erstmal keinen.
Der Bahnhof klebt an einem Berghang und über einen angebauten Holzweg gelangen wir auf den, nun nicht mehr asphaltierten Weg. Der beginnt auch gleich so richtig holprig und lässt uns schon bald eine erste Schiebeetappe einlegen. Es geht vorbei am Abzweig nach Flåm. Der windet sich steil über viele Serpentinen hinunter ins Tal. Schon bergab eine Herausforderung, berghoch wahrscheinlich eine irre Schinderei.
Für uns geht es aber glücklicherweise zunächst etwas ebener an einem See entlang. Dann wird es zunehmend steiler und die Landschaft immer interessanter. Schroffe Berge und rauschende Wasserfälle. Schnell voran kommen wir nicht. Später lässt die Steigung wieder etwas nach und die Ebene weitet sich. Es gibt kaum noch Vegetation nur noch Moose und Gräser und überall flattern an Halmen weiße Püschel im Wind (nennt man das Wollgras!?). An ein paar Berghängen leuchten noch paar Schneefelder in der Sonne und immer wieder viele kleine und große Seen und Flüsse.
Die Bahnlinie ist fast immer in Sichtweite, soweit sie nicht in einem der vielen Tunnel verschwindet. Auf den Strecken dazwischen ist sie zudem auch oft überdacht, sicher als Schutz vor Schneemassen. Ansehenswert sind diese Abschnitte allerdings nicht. Die rostigen Blechverhüllungen passen nicht so recht in diese Landschaft. Inzwischen kommen uns viele Radler entgegen und das ist auf dem schmalen Weg nicht sehr angenehm. Da hat sicher das herrliche Wetter zusätzlich einige hierher gelockt. Ganze Familien mit Kind und Kegel holpern über die eigentlich so gar nicht radfreundliche Piste. Doch auch ein paar nette Begegnungen mit anderen Gepäckradlern ergeben sich.
Gegend Abend wird der Betrieb so nach und nach weniger und wir verbringen am Wegesrand, in inzwischen 1200 Höhenmeter, eine ruhige Nacht in dieser traumhaften Umgebung. Sterne bekommen wir jedoch nicht zu sehen, denn es wird nach wie vor nach Sonnenuntergang nicht richtig dunkel.
Auch am zweiten Radeltag auf dem Rallarvegen perfektes Wetter. Unser Wetterglück ist schon fast unheimlich. Wir passieren den höchsten Punkt des Weges, der mit einem kleinen Schild markiert ist: 1343 m! Nun wird es ebener und letztendlich gehts immer mehr bergab.
An der recht großen Bahnstation in Finse auf 1222 Metern machen wir am höchstgelegenen Bahnhof Nordeuropas ausgiebig Rast. Ab nun ist der Weg viel besser zu befahren, was natürlich noch mehr Radler auf dieses Teilstück lockt. Während der zweiten Nacht auf der Strecke macht uns leider der zunehmende Wind zu schaffen und erfordert die Reparatur einer gebrochenen Zeltstange.
Doch auch am dritten Tag wieder strahlender Sonnenschein. Nach insgesamt reichlich 100 km erreichen wir in Haugastøl das Ende des Rallarvegen (bzw. den Startort für die meisten anderen Radler und Wanderer).
Nun können wir also auch mitreden: Eine sehenswerte Strecke, mit toller Landschaft, allerdings auch echt schwer zu befahren. Wenn ihr hier auch mal vorbei kommt, macht es uns unbedingt nach: Bringt Euch Zeit mit und vor allem schönes Wetter! Dann ist es wirklich ein tolles Erlebnis.
Für uns geht es noch ein Stück weiter hinein ins Innenland, fast bis an die schwedische Grenze, denn wir wollen auf dieser Tour unbedingt einen Abstecher zum Femundsee machen. Hier haben wir vor einigen Jahren eine Paddeltour unternommen, die jedoch schon nach 3 Tagen mit einem Schiffbruch endete. Tja, seitdem haben wir eine Erfahrung mehr und inzwischen auch viel dazugelernt.
Diesmal ist es hier nicht ganz so windig. Dennoch bleiben wir lieber an Land und passieren den See an seinem Westufer vom Südzipfel bis ans etwa 50 km entfernte Nordende.
Das schöne Sommerwetter hält, auch weiterhin an. Ungewöhnlich für Skandinavien. Selbst auf den Titelseiten der Tageszeitungen scheint das Wetter die Nummer 1 der wichtigsten Meldungen zu sein und auch ohne die nötigen Sprachkenntnisse wird die Frage erkennbar: Wann kommt endlich Regen? Uns gefällt es ja eigentlich so wie es ist ganz gut, aber wir sind ja auch keine Bauern. Doch auch wir spüren die enorme Trockenheit. Wenn man durch den Wald läuft knistert es unter den Füßen und das Moos unter den Sohlen zerfällt zu Staub. Ein positiver Nebeneffekt ist, dass dies keine guten Bedingungen, für die hier eigentlich zahlreich lebenden Mücken sind und wir werden, im Gegensatz zu unseren früheren Skandinavientouren, diesmal von wilden Stechattacken verschont.
Die Nachrichten vermelden zahlreiche Waldbrände nebenan in Schweden und auch die Norweger werden unruhig. Vielerorts ist das Feuermachen nun strikt verboten und das in einem Land, wo dies quasi zum Leben dazu gehört. Doch wer braucht bei den sommerlichen Temperaturen schon ein Feuer? Schwieriger dagegen ist für uns das Kochen. Auf Zeltplätzen können wir auf die fast immer vorhandenen Kochplatten zurückgreifen. Da wir jedoch überwiegend wild campieren, haben wir da so unsere Probleme.
Das hier herrschende Jedermannsrecht gestattet jedem ungehinderten Zugang zur Natur und auch das kurzzeitige Übernachten in dieser. Man darf also überall zelten, soweit es nicht auf Nutzflächen oder in unmittelbarer Nähe von bewohnten Gebäuden geschieht - ja, dafür lieben wir Skandinavien, das ist genau unser Ding: kein umständliches Versteck suchen, einfach bleiben, wo es schön ist. Ein Paradies für Herumtreiber, wie uns.
Wir geben uns auch alle Mühe, damit es ein Paradies bleibt und lassen beim Kochen äußerste Vorsicht walten. Als jedoch in der Nacht ein kleines Unwetter vorbei zieht, mögen wir uns lieber nicht vorstellen, was passieren würde, wenn in diese ausgetrocknete Gegend ein Blitz einschlüge! Auch diesmal bleibt der große Regen aus.
Jedoch gibt es nun wieder mehr Wolken am Himmel. Die Sonne behält allerdings weiterhin die Vorhand und die Temperaturen lassen uns trotz der hohen Preise in Norwegen so manches kühle Bierchen genießen - auf Parkbänken oder schattigen Grasflecken, zu fast deutschen Restaurantpreisen. Egal - es schmeckt!
Wir beschließen noch ein bissel länger in Norwegen zu bleiben und radeln in der folgenden Woche weiter nordwärts. Der August beginnt. Die Heidelbeeren sind nun reif und fast jeden Tag finden sich ergiebige Stellen um den nötigen Vitaminbedarf zu decken. Und dazu gibts leckeren nordischen Lachs. Ist diese Ernährung etwa zu einseitig? - aber wenns doch so lecker ist!
Nach 6 Wochen auf den Rädern wird das Wetter unbeständiger und wir nutzen einen etwas verregneten Tag für einen längst überfälligen Ruhetag im Zelt. Wir hatten immer damit auf schlechtes Wetter gewartet, ohne zu ahnen, dass das so lange dauern wird. Nun können wir auch guten Gewissens uns daran machen, unseren Rumvorrat zu verringern.
Nördlich von Trondheim erreichen wir wieder die Küste. Nun folgen wir noch eine Weile dem „Kystriksveien" (Küstenweg), vorbei an einer schönen Küstenlandschaft mit Fjorden und Inseln. In Steinkjer und Namsos tummeln sich Touristen, einige von Ihnen wurden aus großen Kreuzfahrtschiffen ausgespuckt, um sich an Land die Füße zu vertreten. Es geht teilweise tüchtig auf und ab, wir überqueren Fjorde mit Fähren, passieren Berge durch Tunnel und rollen auf kleinen und großen Brücken von Insel zu Insel. Eine herrliche Gegend, die wir zudem auf meist ruhigen Straßen genießen können.
Am Rande der kleinen Stadt Kolvereid landen wir auf einem netten Zeltplatz. Anders, als auf den bisher von uns aufgesuchten, stehen hier keine häßlichen Dauerwohnmobilburgen. Es gibt für die Mobile nur einen kleinen Stellplatz am Rande und ein paar Hütten warten auf Gäste. Doch für die Zweiradfahrer scheint man hier ein Herz zu haben: es gibt eine Handvoll terrassierte Wiesenplätze fürs Zelt und der Clou: eine eigene gemütliche Hütte mit Kochecke und Aufenthaltsbereich. Besser hätten wir das nicht bekommen können, denn nun können wir die folgenden drei Regentage in Ruhe aussitzen.
Wir haben den nördlichsten Punkt unserer Tour erreicht und sind zudem weiter gekommen, als eigentlich geplant. Doch nun wird es Zeit sich auf den Rückweg zu machen. Wir machen es also den Vogelschwärmen über uns am Himmel nach und ziehen nach Süden, bleiben allerdings weiter am Boden.
In den nächsten drei Tagen steuern wir dazu die Grenze von Schweden an. Das Wetter ist immer noch unbeständig und regnerisch. Auch kälter ist es geworden und wir kramen die warmen Sachen heraus - haben wir sie wenigstens nicht umsonst mitgeschleppt. Es geht durch den, auf der Grenze liegenden Lierne Nationalpark. Zunächst noch durch viel Wald und dann nochmal hoch auf eine Hochebene. Die Gegend wird immer einsamer. Nach den Regentagen zuvor stürzen vielerorts Wasserfälle zu Tal.
Und dann endlich: Am letzten Tag in Norwegen sehen wir dann doch noch einen Elch. An unzähligen Verkehrsschildern sind wir vorbei gekommen, die darauf hingewiesen haben, aber nie haben wir einen entdeckt. Doch nun ist es gleich eine kleine Herde, die uns aus der Ferne skeptisch beäugt und darunter ein besonders prächtiger, der mit seinem fast weißen Fell schon fast mystisch wirkt. Nein, das war kein Traum!
Schade! Aber da war wohl der Wunsch, der Vater von Petras Gedanken, denn es ist auch nur ein Rentier, wie so viele vorher, wenn auch ein weißes.
Tschüss Norwegen!